Die Aktion in Frankreich schlägt internationale Wellen. Alice Schwarzer ist begeistert und wünscht sich diese Proteste auch in Deutschland. Wenige Wochen nach der Kampagne des Nouvel Observateur bekommt Schwarzer die Chance: Jean Moreau, der französische Journalist, der die Aktion im Nouvel Observateur angestoßen hatte, ruft sie an: er habe eine Anfrage von einer anderen „komischen“, deutschen Zeitschrift namens „Jasmin“ erhalten, die die Aktion nachstellen wolle. Moreau habe aber das Gefühl, dass es der Zeitschrift nur um einen Werbegag ginge. Also bittet er Schwarzer der Zeitschrift zuvorzukommen und eine ähnliche Aktion in Deutschland zu organisieren. „Ich überlegte nur kurz. Dann griff ich zum Telefon und wählte die Nummer des Stern-Redakteurs Winfried Maaß“, so schreibt es Alice Schwarzer selbst in der Emma. Winfried Maaß sagt sofort zu.
Das Schweigen brechen
Also macht sich Schwarzer auf die Suche – mit der Sicherheit schnell Unterschriften zu finden, vor allem beim Frankfurter „Weiberrat“. Dieser gilt neben dem Aktionsrat zur Befreiung der Frau als größte universitäre Frauengruppe innerhalb der Außerparlamentarischen Opposition. Bekannt wurde der „Weiberrat“ vor allem, weil er sich gegen das machohafte Auftreten von Männern der 1968er-Bewegung engagierte.
Schwarzers Vorhaben wollte der „Weiberrat“ allerdings nicht unterstützen. Die Aktion sei zu „reformistisch“ und „kleinbürgerlich“, erzählt Schwarzer in der Emma. Beinah scheitert sie auch bei anderen Organisationen. Schließlich erklären sich aber einige „Rote Frauen“ aus München bereit bei der Aktion mitzumachen. Auch der „Sozialistische Frauenbund Westberlin“ willigt ein.
Die Hälfte der Unterschriften ist somit gesichert, die andere Hälfte sammeln Alice Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen durch Mundpropaganda. Schwarzer reist durchs Land und spricht mit vielen Frauen, unter anderem auch mit bekannten Persönlichkeiten, wie Romy Schneider und Senta Berger. Aber auch mit Hausfrauen, Arbeiterinnen, Sekretärinnen und Studentinnen.
Die Frauen bekennen sich zu einer Abtreibung und fordern die Streichung des §218 und Abbrüche auf Krankenschein. Im Nachhinein stellt sich zwar heraus, dass nicht alle Frauen einen Schwangerschaftsabbruch durchführen haben lassen, wie zum Beispiel Alice Schwarzer selbst, aber trotzdem aus Solidarität mit anderen Frauen und Freundinnen unterschrieben haben.
Als Gegenleistung für die Unterschriften verlangt Schwarzer vom Stern ein kollektives Titelbild mit Porträts von mehreren Frauen, den ungekürzten Abdruck des politischen Appells und die Veröffentlichung einer Reportage über die Aktion. „Ich war schließlich nicht blauäugig. Mir war klar, dass ich auf der Hut sein musste, damit aus der Aktion keine Sensationshascherei würde“, schreibt Schwarzer in der Emma. Die Unterschriften übergibt sie dem Stern erst in der letzten Sekunde.