Ungewollt schwanger in Deutschland © © ARD / Derek French / Staatsarchiv Bremen / Karl Edmund Schmidt
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„Wer bin ich, dass ich darüber entscheiden kann“

Ärztinnen und der Schwangerschaftsabbruch

In Deutschland ist es Sache der Ärztinnen und Ärzte, ob sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Drei Ärztinnen erzählen, wie sie damit umgehen – heute und damals.

Alicia Baier © zeroone
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Es spritzt, wenn man den kleinen Metallstab in die Papaya einführt. Er weitet die Frucht nur minimal – dann kann ein etwas größerer Schlauch in die orangene Papaya eingeführt werden. Dieser wird mehrmals gedreht und gewendet bis alle Kerne und das Fruchtfleisch aus der Papaya abgesaugt sind. Was ungewöhnlich klingt, ist eine Methode aus den USA, mithilfe derer man Schwangerschaftsabbrüche üben kann. Genauer gesagt die sogenannte Absaugmethode . Sie ist eine operative Methode, um Schwangerschaften zu beenden.

Im Medizinstudium wird sie jedoch kaum praktisch gelehrt. Schließlich ist der Schwangerschaftsabbruch nur unter bestimmten Bedingungen in Deutschland mit dem Gesetz vereinbar. Ärzt*innen in Deutschland sind daher frei in der Entscheidung, ob sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen wollen. Neun von zehn Gynäkolog*innen entscheiden sich dagegen. Trotzdem ist der Eingriff einer der häufigsten in der Gynäkologie.Der Eingriff betrifft so viele Frauen im Laufe ihres Lebens. Der gehört zu unserem Leben so stark dazu und kommt aber in einem sechsjährigen Medizinstudium überhaupt nicht vor“, kritisiert Alicia Baier.

Die 31-Jährige studierte Medizin an der Charité in Berlin. Sie wollte nicht hinnehmen, dass Schwangerschaftsabbrüche in ihrem Medizinstudium in Berlin nicht gelehrt und damit tabuisiert wurden. Also gründete sie 2015 die Gruppe Medical Students for Choice Berlin. Sie organisieren Workshops, in dem sich Studierende selbst beibringen, Abbrüche durchzuführen, zum Beispiel mithilfe der Papaya-Methode.

„Der Eingriff betrifft so viele Frauen im Laufe ihres Lebens. Der gehört zu unserem Leben so stark dazu und kommt aber in einem sechsjährigen Medizinstudium überhaupt nicht vor.“

Alicia Baier
Papaya-Workshop © zeroone
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Widerstand gegen Papayas
Anfangs gab es unter einigen Studierenden, und vor allem dem Lehrverantwortlichen der Berliner Charité, Widerstand gegen diese Workshops. Er möchte keine Räume zur Verfügung stellen. „Er hat gesagt, es sei unmöglich hier die Ermordung oder Tötung eines Menschen zu üben“, erläutert Baier.

Aber Baier ließ sich nicht unterkriegen. Sie organisierte weiter Workshops und bewirkte etwas: der Abbruch wurde in den Lehrplan der Charité aufgenommen, auch wenn er deutschlandweit weiterhin kaum praktisch gelehrt wird. Darüber ist nicht nur Baier glücklich, sondern auch ältere Gynäkologinnen: Sie hätten ihr gesagt, dass sie auf das gewartet haben, erzählt Alicia Baier stolz.

Schwangerschaftsabbruch mit der Fahrradpumpe
Schon lange vor Alicia Baier, in den 1970er Jahren, haben Ärztinnen für die Abschaffung des Paragrafen 218 gekämpft. So wie Susanne D. Sie war Gynäkologin und führte in den 1960er/1970er-Jahren illegale Schwangerschaftsabbrüche durch. Mit der schonenden Absaugmethode, zu Hause bei den Frauen – im Bett, auf dem Sofa und einmal sogar auf dem Küchentisch. Dafür nutzte sie unter anderem eine Fahrradpumpe, mit der sie die Absaugung vornehmen konnte.

Susanne D. © zeroone
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Einmal gab es eine brenzlige Situation, erzählt sie. Eine Frau wollte nicht, dass ihr Mann etwas von dem Abbruch mitbekommt und schickte ihn für ein paar Stunden nach draußen. Leider kam er zu früh nach Hause und donnerte gegen die Tür. „Wir waren alle total in Panik“, erzählt Susanne D. Sie mussten den Eingriff unterbrechen. Schwangerschaftsabbrüche seien damals ein Dauerthema gewesen, sagt Susanne D. „Jede kannte irgendeine Freundin, Mutter oder Schwester, die schon mal eine oder mehrere Abtreibungen hatte, unter mehr oder weniger katastrophalen Bedingungen“.

Susanne D. wollte helfen. Sie bekam einen Job bei „Pro Familia“, der Deutschen Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung, die in den 1970er Jahren deutschlandweit Beratungsstellen eröffneten. Als Ärztin habe Susanne D. den Frauen dort zugehört, sie aufgeklärt, ihre Entscheidung angenommen und nicht kritisiert: „Es gab natürlich ambivalente Frauen, das war wichtig zu spüren und sie darauf anzusprechen, ihnen zu sagen: Fahren Sie noch mal nach Hause und überlegen Sie es sich nochmal“, erzählt sie.

Ursula Baur-Weigand © privat
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Entscheidung mit Konsequenzen
Das habe auch Ursa Baur-Weigand herausgefunden. Sie war Gynäkologin und wollte in der Klinik anfangs keine Abbrüche machen, denn sie war katholisch geprägt und Schwangerschaftsabbrüche waren für sie ein heikles Thema. Dann hat sich aber mit der Geschichte der Frauen beschäftigt: „Da dachte ich: mein Gott, wer bin ich, dass ich darüber entscheiden kann, ob ich einen Abbruch mache oder nicht?“, erzählt Baur-Weigand.

„Da dachte ich: mein Gott, wer bin ich, dass ich darüber entscheiden kann, ob ich einen Abbruch mache oder nicht?"

Ursa Baur-Weigand

Ursa Baur-Weigand konnte nachvollziehen, dass es Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch gibt. Schließlich hatte sie Anfang 20 auch unverheiratet Sex und wurde gleich schwanger. Den Mann wollte sie nicht heiraten, über Schwangerschaftsabbrüche habe sie damals aber nicht nachgedacht: „Das war nicht in meinem Denken drin“, sagt sie. Also hat sie ihr Kind bei den Jesuiten entbunden und an ihre Schwester gegeben. „Ich musste in derselben Nacht noch zurück. Ich durfte da nicht in Erscheinung treten“, berichtet Baur-Weigand. Es sei für sie eine schmerzliche Erfahrung gewesen.

Danach lernte sie ihren späteren Ehemann kennen, heiratete und bekam zwei Kinder. Alles war wieder gut – bis sie hochschwanger bei der mündlichen Prüfung ihres Staatsexams mitbekam, dass eine Frau bei einem Schwangerschaftsabbruch drohte zu sterben. Ursa Baur-Weigands Prüfung musste unterbrochen werden, weil die zuständigen Prüfer helfen sollten, die Patientin zu verarzten. Die Frau verstarb – ein schreckliches Erlebnis für Ursa Baur-Weigand.

Student*innen beim Papaya-Workshop © zeroone
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(K)ein Fortschritt?
Heute müssen Schwangere in Deutschland nicht mehr ihr Leben aufs Spiel setzen, wenn sie einen Abbruch machen lassen wollen. Ein klarer Fortschritt. Allerdings ist es trotzdem oft ein Spießrutenlauf eine Schwangerschaft zu beenden – gerade auch für die Ärzt*innen, erzählt Alicia Baier: „Man muss eigentlich immer aufpassen, dass man nicht gleich mit einem Bein im Gefängnis steht. Das schreckt, denke ich, schon viele ab“, sagt sie. Denn auch für Ärzt*innen gelten beim Schwangerschaftsabbruch bestimmte Regeln: Sie dürfen einen Schwangerschaftsabbruch nur durchführen, wenn die Schwangere vorher ein staatlich anerkanntes Beratungsgespräch geführt hat und maximal in der 12. Woche der Schwangerschaft ist. „Dazu kommen dann auch noch die Abtreibungsgegner*innen, die dann vielleicht vor der Praxis stehen“, sagt Alicia Baier.

Trotzdem sehe Baier es für wichtig an, als Ärztin einen Abbruch zu machen: „Ich finde, das gehört zu meinem Beruf dazu. Ich finde es ganz schrecklich, dass so viele Ärzt*innen, das eben nicht machen, und wir da in Deutschland irgendwie auch die Patient*innen alleine lassen“.

Mehr über den Paragraf 218 und Schwangerschaftsabbrüche in der ARD Mediathek.

Alle Interviews stammen aus der Doku-Serie „Der Paragraf und Ich“ von Sandra Löhr und Luzia Schmid. Zusammengetragen von Marie Steffens.

Weitere Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch gibt es in unserem Glossar.

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