AM-Verbreitung beendet - Radio Armenien wohl nicht mehr auf Mittelwelle
Sechs Jahre nach dem Rückzug von der Kurzwelle (zuletzt in bemerkenswerter Weise noch der Tropenbandfrequenz 4810 kHz) scheint Radio Armenien auch die Mittelwelle aufgegeben zu haben. Bei Nachforschungen des British DX Club waren die Ausstrahlungen nicht mehr zu hören.
Es handelte sich um einen 105 Minuten langen Block mit Beiträgen in Aserbaidschanisch, Persisch, Türkisch und Kurdisch. Er war in einer Zwitterrolle sowohl für ethnische Minderheiten in Armenien selbst als auch für die Nachbarländer bestimmt.
Abgestrahlt wurde auf 1395 kHz. Diese Frequenz läuft mit einem Transistorsender der ersten Generation, der aus unbekannter Quelle gebraucht übernommen worden sein dürfte. Als Antenne dient eine Reuse.
Verblieben sind auf 1395 kHz jetzt noch Programme zweier ausländischer Kunden. Von 20.00 bis 20.20 Uhr kommt die Farsi-Sendung des japanischen Rundfunks NHK, der auf eine AM-Versorgung des Iran weiterhin Wert legt und dafür auch Kurzwellen-Sendezeit in Frankreich anmietet.
Von 20.30 bis 22.30 Uhr folgt ein arabisches Programm von Adventist World Radio. Hier ist bislang nicht bekannt, ob die zum 27. Oktober ausgesprochene Abkündigung der angemieteten Sendekapazitäten auch diese Mittelwelle einschließt.
Einziger weiterer, dabei mit weitem Abstand größter Mittelwellenkunde auf der Sendestation am Sewansee ist, nachdem Radio Free Europe / Radio Liberty sich wieder zurückgezogen hat, jetzt noch Trans World Radio.
Über einen Rundstrahler laufen von 19.10 bis 19.45 Uhr auf 864 kHz Beiträge in Turkmenisch, Kasachisch und Karalkapak.
Danach wird der Sender umgestellt und überträgt von 20.00 bis 22.30 Uhr auf 1350 kHz ein Programm in arabischer Sprache. Das geschieht mit einer Antenne der aus acht Masten bestehenden Bauart SW 4+4, die in Richtung Nahost strahlt.
Exklusive Nutzungsrechte sicherte TWR sich für die Frequenz 1377 kHz. Derzeit laufen hier von 19.00 bis 20.30 Uhr bzw. daran anschließend bis 21.45 Uhr die Programme für den Iran und die Ukraine.
Nachdem dafür bereits vor Jahren eine neue, umschaltbare Antenne gebaut wurde, sollte noch im Oktober der alte Sender mit klassischer Technik durch eine aus Deutschland stammende neue Anlage abgelöst werden.
Jüngste Aussagen sprachen von einer anschließenden Demontage der jetzt noch auf 1377 kHz aktiven, aus den 60er Jahren stammenden und in den 80er Jahren modernisierten Röhrentechnik.
Das bleibt insofern unklar, als es sich hier um eine Doppelanlage aus zwei Sendern mit den Betriebsnummern RW-601 und RW-602 handelt. Zu deren Einsatzbereich gehörten zwei heute nicht mehr genutzte Frequenzen, die Mittelwelle 1314 kHz und die Langwelle 234 kHz.
Letztere lief im Gleichwellenbetrieb mit Grigoriopol und mehreren Standorten in der damaligen Russischen Sowjetrepublik. Der Steuersender war, wie auch an den anderen Standorten, für die erforderliche Synchronisation der Trägersignale ausgerüstet.
Auf 1314 kHz wiederum wurden Auslandsprogramme in die heute nicht mehr nachgefragte Richtung Irak und Saudi-Arabien abgestrahlt. Das geschah mit einer Antenne der sagenumwobenen, 2200 Meter langen Bauform „Bolschaja Sarja“.
Solche Antennen des Beverage-Typs wurden seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr gebaut. Spektakulär klingende Aussagen über ihre Wirksamkeit lassen sich aus praktischen Beobachtungen auch nicht unbedingt bestätigen. Fakt ist die völlige Inflexibilität dieser Bauform: Jede Frequenzänderung erfordert einen Umbau.
In Europa fand gerade der letzte Einsatz einer Sarja-Antenne, wenn auch nur in der kleinen, 1000 Meter langen Variante, mit dem Entfall der TWR-Sendungen aus Grigoriopol (hier auf 1548 kHz) sein Ende. Mit den „Morgenröten“ auf 936 kHz bei Lemberg, auf 1170 kHz in Belarus und auf 1494 kHz bei Sankt Petersburg ist es schon seit Jahren vorbei.
Über die Mittelwelle hinaus sprudeln die Rückkühlanlagen auf der Sendestation bei der Ortschaft Noratus bis heute für die Kurzwelle. Inzwischen sind allerdings nur noch zwei Kunden übrig, davon ein großer: Für jetzt noch zwölf Stunden am Tag sendet mit 300 kW die kurdische Dengê Gel.
Außerdem wird für eine Stunde am Tag ein Sender mit 100 kW eingeschaltet, und zwar ab 19.00 Uhr auf 9585 kHz mit dem exileritreischen Radio Erena.
Wie die Ausstrahlungen auf Mittelwelle folgt auch diese Sendung nicht der europäischen Sommerzeit, dürfte aus hiesiger Sicht ab 27. Oktober also eine Stunde früher kommen. Eine Bestätigung der Weiterführung liegt bislang nicht vor. Dem könnte auch wegen einer vertraulichen Abwicklung des Auftrags als „Geheimsender“ so sein.
Im jetzt entfallenen Mittelwellenprogramm von Radio Armenien gab es eine Besonderheit: Übernahmen von diesen Produzenten. Das war ein Ersatz für die ursprüngliche, ab 2013 praktizierte Ausstrahlung über einen Kurzwellen-Kleinsender in Stepanakert.
Bei dieser „Stimme von Talyschistan“ geht es indes nicht um Karabach, sondern um den Südostzipfel Aserbaidschans. Dort war 1993 eine autonome Republik dieser Volksgruppe ausgerufen, jedoch schnell wieder zerschlagen worden.
Talyschen leben auch im sich anschließenden Territorium des Iran. Als die Sendungen auftauchten, behaupteten aserbaidschanische Medien, die Sprecher seien an ihrem Akzent als Iraner zu erkennen. Das wies die iranische Botschaft in Baku zurück und erklärte, die Islamische Republik habe nichts damit zu tun.
Zumindest im vergangenen Jahrzehnt brauchte man in Baku nur ein Radio einzuschalten, um das angespannte Verhältnis zwischen den beiden Ländern zu erkennen: Gezielt blockiert ist oder war dort die Mittelwelle 702 kHz, auf der aus dem Iran die Auslandssendungen für das Gebiet der früheren Sowjetunion abgestrahlt werden.
2023 genügte es ebenfalls, in Stepanakert ein Radio einzuschalten, um zu ahnen, was geschehen würde: Die Medienagentur Rossija Segodnja (sie war 2014 an die Stelle der Stimme Russlands, dem einstigen Radio Moskau, getreten) stellte von sich aus die dortige UKW-Verbreitung ein.
Verwunderte Abgeordnete der Staatsduma richteten eine Anfrage an Dmitri Kisseljow, den Leiter von Rossija Segodnja. Dessen Antwort: Nachdem der armenische Premierminister Paschinjan erklärt hat, die Staatsgrenzen auf dem Stand von 1991 bestätigen zu wollen, könne man in Nagorny Karabach nicht weiter ohne aserbaidschanische Lizenz senden.
Das Umschwenken, mit dem Russland aufhörte, Schutzmacht von Armenien zu sein, ist inzwischen offenkundig. Für sich sprach bereits, wie 2023 eine Verhängung von EU-Sanktionen gegen Aserbaidschan durch Ungarn verhindert wurde.
Von Moskau offen unterstützt wird auch der aserbaidschanische Plan, sich direkten Zugang in die Exklave Nachitschewan und damit die Türkei zu verschaffen. Das sorgt für Irritationen in Teheran, da Armenien im Gegenzug die Kontrolle über seine Straßen und Leitungen in den Iran verlieren könnte. Befürchtet wird eine gewaltsame „Lösung“ auch dieser „Frage“.
Beitrag von Kai Ludwig; Stand vom 20.10.2024