Kurdisches Radio - Dengê Gel mit eingeschränkter Kurzwellen-Sendezeit
Nach wie vor auf Kurzwelle aktiv ist das heute als Dengê Gel auftretende kurdische Radioprogramm, wenn auch nur noch mit eingeschränkter Sendezeit. Seit mittlerweile fünf Jahren wird die Übertragung von der Türkei sabotiert.
Wie einer Notiz des Senders zu entnehmen ist, läuft die Ausstrahlung seit April noch zwischen 6.00 und 18.00 Uhr MESZ. Auf die Nutzung einer Abendfrequenz im 41-Meterband wird jetzt verzichtet.
Die Angabe der beiden Frequenzen 11510 und 11550 kHz versteht sich als Bereich, in dem das Signal an immer wieder wechselnder Stelle erscheint. Auf diese Weise wird versucht, der ständigen Störung durch die Türkei auszuweichen. Sie folgt den Frequenzänderungen aber meist in kurzer Zeit.
Diese Störsendungen begannen im Oktober 2019. Auf der Kurzwellenstation des türkischen Rundfunks TRT wird dabei eine spezielle Programmschleife abgestrahlt, die Musik und teils auch einschüchternd sein wollende Einwürfe (etwa Schüsse oder Fragmente von Erdoğan-Reden) enthält.
Gesendet wird die Dengê Gel – daran gibt es keine Zweifel – aus Armenien.
Das weckt Erinnerungen an eine Geschichte vor nunmehr 30 Jahren: Der „Mitternachtsruf“, eine Endzeitstimme aus der Schweiz, meldete sich im Radio. Und zwar nach eigener, mancherorts auch noch allen Ernstes zitierter Aussage „über einen der stärksten Sender des KGB, der auf dem Berge Ararat steht“.
Tatsächlich befindet sich die Sendestation bei der Ortschaft Noratus, auf der Landzunge, die bei Gawar (einst Kamo) in den Sewansee ragt. Dort gibt es auch für die Kurzwelle drei Sender mit der Nennleistung von 1000 kW, die für einiges Erstaunen sorgte, als erstmals Einzelheiten über die Kurzwellenanlagen der Sowjetunion bekannt wurden.
Heute werden diese Anlagen noch mit 300 kW betrieben. Für die Dengê Gel zum Einsatz kommt einer der beiden derartigen Sender aus den späten 60er Jahren. Der andere wird nur noch ab und an hochgefahren. Der dritte Sender jüngerer Bauart ist bereits konserviert.
Dazu führte das immer weitere Wegbrechen der Sendeaufträge, so zuletzt erst der BBC. Auch die ebenfalls vorhandenen Sender mit 100 kW werden kaum noch nachgefragt. So hatte Radio Armenien zum Ende des Jahres 2018 seine letzte Kurzwellenfrequenz, 4810 kHz im 60-Meterband, aufgegeben (dazu noch ein Blick auf die Tropenband-Antenne).
Derzeit dürfte es nur noch eine einzige Nutzung der vier „kleinen“ Sender geben, zugleich auch die einzige tägliche Ausstrahlung auf Kurzwelle, die neben der Dengê Gel noch aus Noratus kommt: Das auf Eritrea zielende Radio Erena auf 9585 kHz, nach Sommerzeit von 19.00 bis 20.00 Uhr.
Die heutige Dengê Gel ist das Hörfunk-Beiboot eines Fernsehsenders, der seit 1995 immer wieder als Organ der PKK eingestuft, anschließend verboten und von seinen Betreibern mit neuer Lizenz unter verändertem Namen erneut gestartet wurde.
Die erste Phase mit britischer Lizenz als „Med TV“ endete 1999. Es folgte „Medya TV“ bis zum Entzug der französischen Zulassung im Jahre 2004. Nächster Schachzug war eine dänische Lizenz mit der neuen Marke „Roj“. Das funktionierte bis 2012.
Es folgte Schweden mit „Newroz TV“, bis der Satellitenbetreiber Eutelsat 2016 erneut den Stecker zog. Das geschah auf direkte Veranlassung des türkischen Rundfunkregulierers RTÜK.
Bemerkenswert ist dabei, worum es sich bei RTÜK handelt: Um ein vollwertiges Mitglied der Europäischen Plattform der Regulierungsbehörden (EPRA). Daran haben auch Aktionen wie 2022 die Verhängung einer pauschalen Nachrichtensperre und die Blockierung der Internetseiten von Deutscher Welle sowie Voice of America nichts geändert.
Letzteres war nicht etwa ein Irrtum, obwohl es sich bei der VOA um nichts anderes handelt als ein Organ der US-Regierung (mit zwangsläufigen Problemen dabei, die redaktionelle Arbeit von staatlichem Handeln abzugrenzen): Eine von der VOA für die Türkei eingerichtete Ersatzadresse wurde 2023 ebenfalls gesperrt.
Parallel erhob sich die Frage, ob der türkische Durchgriff überhaupt noch Grenzen kennt: Auf Veranlassung aus Ankara ist ein Deutscher in Italien verhaftet worden.
Der kurdische Fernsehsender seinerseits klagte erfolgreich gegen die Abschaltung als „Newroz TV“ und kehrte 2017 auf Kapazitäten von Eutelsat zurück. Dabei kam es zu einer erneuten Umbenennung in Stêrk TV.
Damit änderte sich nichts an der Produktion und sendetechnischen Abwicklung in Denderleeuw bei Brüssel. Das Türschild und auch andere Details machen kein Geheimnis daraus, wer man ist.
Wiederholte Umbenennungen gab es auch beim Radio. Von seinem Start im Jahre 2001 bis 2012 lief das Programm als „Dengê Mezopotamya“, dann brachte man mit „Dengê Kurdistanê“ das Zielgebiet eindeutig zum Ausdruck.
2017 wurde daraus „Dengê Welat“. 2023 kam es schließlich zur Einführung des heutigen Namens, der „Stimme der Menschen“ bedeutet. Auf Satellit wurde das bis heute nicht umgesetzt.
Wie schon in der Vergangenheit war auch dieser Schritt mit einem Wechsel des technischen Dienstleisters für die Kurzwellenausstrahlung verbunden. Zuvor hatte man ab 2022 aus Usbekistan gesendet.
Im Laufe der Jahre gab es mindestens sechs Sendestandorte (weitgehend gesichert sind auch Issoudun, Kostinbrod, Grigoriopol und Samara). Besonders erwähnt sei der erstaunlichste: Für kurze Zeit lief die Ausstrahlung über die Kurzwellenstation von Radio Jugoslawien.
Das kann tatsächlich so formuliert werden, denn der Sender ist nie offiziell umbenannt worden. Dahinter steckte schlichtes Desinteresse der Regierungsstellen, die sich nur 2015 noch einmal mit dem Belgrader Auslandsrundfunk beschäftigten: In Form von dessen abrupter Abwicklung.
Die jüngste Sendeanlage von Radio Jugoslawien befand sich aus bosnischem Staatsgebiet bei Bijeljina, was sie vor der gezielten Vernichtung durch Luftangriffe der NATO bewahrte. Da die weitere Verbreitung von Auslandssendungen aus Belgrad allseits als berechtigtes Anliegen anerkannt wurde, konnte die Station bis zuletzt genutzt werden.
Inzwischen sind die Antennen abgerissen. Für die Gebäude scheint sich, den im Satellitenbild zu sehenden Fahrzeugen nach zu urteilen, eine neue Nutzung gefunden zu haben.
Beitrag von Kai Ludwig; Stand vom 11.08.2024