Sender Grigoriopol - Erinnerungen an Radio Pridnestrowja

Sender Grigoriopol
Der jetzt noch von Radio 1 pljus genutzte Sender 621 kHz | © Leo Cultuclu

Am Rande der Schlagzeilen aufgetaucht war im April ein Rundfunkbetrieb, der seinerseits mit einem Krieg in Europa zu tun hat, der vor drei Jahrzehnten ausgetragen wurde und in den deutschsprachigen Ländern weitgehend unter dem Wahrnehmungshorizont blieb. Dazu fand sich nun neuer Lesestoff.

Die Geschichte von Radio Pridnestrowja ist das Thema einer 2019 an der Universität Woronesh eingereichten Dissertation.

Wie aus ihr hervorgeht, begann der Hörfunkbetrieb in Tiraspol im Jahre 1930. Die Studios befanden sich im Postamt, der eingesetzte Sender hatte eine Leistung von 4 kW. Träger der Station war die damalige, 1924 unter dem Dach der Ukraine gegründete Moldawische Autonome Sowjetrepublik.

Auf Grundlage des Molotow-Ribbentrop-Paktes fiel 1940 das bis dahin (seit 1918) Rumänien angeschlossene Bessarabien an die Sowjetunion. Aus ihm und Teilen der bisherigen MASSR wurde die neue Moldawische Sowjetrepublik formiert. Der bis dahin in Tiraspol betriebene Rundfunk zog nach Chisinau um.

Es war wiederum Tiraspol, das sofort in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 von deutschen und rumänischen Flugzeugen angegriffen wurde. Für ihre Reaktion im Bereich des Rundfunks brauchte die Sowjetunion bis 1942: Beim Allunionsradio in Moskau wurde eine moldawische Redaktion gegründet.

Zum erneuten Aufbau ab 1945 führt die Dissertation den Mitte der 80er Jahre beim Rundfunk in Chisinau erreichten Stand an: Zwei Programme mit zusammen 32 Stunden täglicher Sendezeit.

Wenig überraschend ist, worin die Ausarbeitung den entscheidenden Faktor für die Gründung von Radio Pridnestrowja am 7. August 1991 sieht: In der Festlegung von Rumänisch als alleiniger Amtssprache der Republik Moldova, die 1989 mit einem Gesetz und erneut 1991 mit der Unabhängigkeitserklärung getroffen wurde.

Die weiteren Ausführungen sind ein Kriegstagebuch. Dabei wird auch auf die Rolle der Sendeanlage Grigoriopol eingegangen, die ab dem 21. Juli 1991 ebenfalls unter Kontrolle der Separatisten stand. Das hatte zunächst keinerlei praktische Folgen; das Programm von Radio Pridnestrowja wurde weiterhin ausschließlich über Drahtfunk verbreitet.

Zu einer Änderung führte erst die Idee, überregionale Aufmerksamkeit zu finden. Somit wurde am 7. Mai 1992, dem „Tag des Radios“, die Ausstrahlung der Rundfunkprogramme aus Chisinau abgebrochen und durch Übertragungen von Radio Pridnestrowja ersetzt.

Da die Anbindung der Sendestation an das Rundfunkleitungsnetz über das Funkhaus Chisinau lief, war zunächst keine direkte Übertragung des Programms aus Tiraspol möglich. Die ersten Sendungen kamen von Tonbändern, die teils mitten durch Kampfgebiete herangebracht wurden.

An der Station selbst wurden Kämpfer positioniert. Damalige Meldungen über einen bewaffneten Überfall sind jedoch ein Mythos, den wohl der moldawische Kommunikationsminister kolportierte, um sein Amt zu retten. Wie auch andere Quellen bestätigen, hatte sich die Belegschaft der Station selbst den Separatisten angeschlossen.

Erst nach dem Waffenstillstand begann, so fährt die Dissertation fort, Radio Pridnestrowja im Herbst 1992 auch mit Kultur- und Musiksendungen. Von 1993 bis 1995 belief sich die wöchentliche Sendezeit auf 42,5 Stunden.

Ebenfalls erst jetzt begann die Anschaffung von Technik im Studiostandard, darunter Bandmaschinen sowjetischer Bauart. 1995 konnte Radio Pridnestrowja in das Haus Nr. 10 in der Tiraspoler Rosa-Luxemburg-Straße ziehen.

1997 zwang Geldmangel dazu, die tägliche Sendezeit auf dreieinhalb Stunden zu beschränken. Der Aufbau einer Richtfunkstrecke vom Funkhaus ermöglichte am 17. Februar 1999 erstmalige Ausstrahlungen auch auf UKW. Anfang 2000 konnten eine vollwertige Leitungsanbindung in Betrieb genommen und die Sendezeit wieder auf fünf Stunden erweitert werden.

2008 kam es zu einem Hochwasser des Dnestr, bei dem das Parterre des Funkhauses überschwemmt wurde. Damit war Radio Pridnestrowja zunächst wieder auf Behelfe zurückgeworfen. Die Dissertation nennt als zeitweiligen Standort ein Gebäude des Telekommunikationsdienstleisters IDC.

Erwähnt wird auch der Start eines Auslandsdienstes im Jahre 2002. Das ist eine Halbwahrheit: Solche Sendungen gab es zuvor schon in den 90er Jahren. Den damaligen Beiträgen in deutscher Sprache kann durchaus ein journalistischer Anspruch attestiert werden, der den Produktionen der 2000er Jahre völlig abging.

Sender Grigoriopol, Kurzwellensender des Typs „Kondor“
Ein Kurzwellensender der Station Grigoriopol | © Leo Cultuclu

Auf die Sendeserie der 90er Jahre nimmt auch ein anderer Beitrag Bezug, der sich besonders für Interessenten empfiehlt, denen die „prorussische“ Anmutung der Dissertation nicht behagt: Fragment des Imperiums am Dnestr.

Die „Erinnerungen eines Soldaten“ berichten von einer Mitwirkung bei Radio Pridnestrowja in den Jahren 1991/1992, von der sich der Autor heute distanziert. Völlig ungewollte Heiterkeit auslösen könnte bei bestimmten Kennern die Erwähnung von Korrespondentenberichten über Telefon, da sie andere Erinnerungen weckt.

Die Distanzierung bedeutet nicht unbedingt, eine territoriale Integrität Moldawiens als Selbstverständlichkeit zu sehen. Der Autor zitiert eine geradezu unaussprechliche Meinung aus Chisinau: Ohne die Tiraspoler Separatisten wäre die Demarkationslinie am Dnestr heute wieder ein Abschnitt der Staatsgrenze zwischen Rumänien und der Ukraine.

Besonders erwähnenswert sind diese 2020 veröffentlichten Worte, weil das Streuen genau dieses Szenarios zu den Destabilisierungsversuchen gehört, die seit dem Frühjahr zu beobachten sind.

Der „Soldat“ war später für die russischen Sendungen des SFB (heute vom WDR weitergeführt) in München tätig. Sein Text beginnt mit einer Schilderung, wie er dort vergeblich versuchte, die neuen deutschen Sendungen von Radio Pridnestrowja zu hören.

Gescheitert sein dürfte der Versuch unter anderem an der Mitbelegung der Mittelwelle 999 kHz, die in Deutschland noch bis 1995 lief. Eher etwas für Kenner war die später hinzugenommene Ausstrahlung auf Kurzwelle, mit der die nicht sonderlich gut klingenden, aber interessanten Töne aus Tiraspol auf einmal in Ortssenderqualität zu empfangen waren.

Wenig später begann eine Vermarktung der reichweitenstarken Sender in Grigoriopol an ausländische Kunden. Von diesem Angebot machte auch die Deutsche Welle bis 2010 Gebrauch, wovon ein hier gezeigtes Souvenir kündet.

2012 wurde Radio Pridnestrowja mit seinem Fernseh-Schwestersender zur heutigen Rundfunkgesellschaft PGTRK zusammengelegt. Darüber, was danach passierte, geht die Dissertation wiederum hinweg: Ab 2013 konnte man sich, auch weil das Geld bereits für neue Studios ausgegeben war, die AM-Sendungen nicht mehr leisten.

Radio Rossii uchodit is dalnego efira
2013: Abschaltmeldung zu Radio Rossii

Ironischerweise beendete nur wenige Monate später auch die Allrussische Rundfunkgesellschaft (WGTRK) die Mittelwellenverbreitung ihres Radio Rossii. Für eine Wiederaufnahme wurde nun nichts anderes angefordert als die Grigoriopol-Frequenz 999 kHz.

Für Radio 1, wie sich das Hörfunkangebot der PGTRK seit 2014 nennt, fand sich noch eine im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten liegende Lösung: Ein „kleiner“ Sender mit 150 kW Leistung, der nicht zur ursprünglichen Ausstattung der Station Grigoriopol gehörte, sondern von irgendwo in der Sowjetunion hierher umgesetzt wurde.

Nun bettete Radio 1 für ein überregionales Publikum bestimmte Beiträge in sein Radio 1 pljus ein, das inzwischen geschaffene, für ältere Hörerschichten bestimmte und von sowjetischen Schlagern geprägte Zweitprogramm. Zu den betreffenden Zeiten an Arbeitstagen wird der Zusatzsender auf 621 kHz eingeschaltet.

Dabei gab es gerade eine Änderung: Die Mittelwellensendung läuft nicht mehr am Morgen, sondern jetzt von 14.00 bis 17.18 Uhr MESZ. Nachrichten in ukrainischer und rumänischer Sprache kommen um 15.30 bzw. 16.30 Uhr.

Im Sommer ist davon außerhalb der Region natürlich nicht viel zu hören. Wenn es bei der Sendezeit bleibt, könnte das im Spätherbst und Winter gegen Ende der Ausstrahlung etwas anders aussehen. Die Sendung dürfte dem Ende der Sommerzeit folgen, dann nach MEZ also weiterhin bis 17.18 Uhr laufen.

Die Übertragung auf Mittelwelle ist momentan tatsächlich der einzige Weg, Radio 1 pljus außerhalb des von seinen UKW-Sendern erreichten Gebiets zu empfangen. Der Internetauftritt funktioniert schon seit Wochen nicht mehr.

Seit dem 30. Mai hat die Mittelwelle 621 kHz noch einen weiteren Sendekunden: Trans World Radio, das zuvor der letzte verbliebene Nutzer der Frequenz 999 kHz war, seit die Stimme Russlands, das frühere Radio Moskau, 2014 abgewickelt wurde.

Nachdem TWR nun Radio Rossii zu weichen hatte, begann es als Ersatz neben Ausstrahlungen aus Estland, Armenien und (hier auf Kurzwelle) Guam auch eine Sendung auf 621 kHz. Sie läuft von 19.30 bis 20.30 Uhr.

Davon unberührt blieben die Sendungen auf 1548 kHz, wo TWR seit 2014 ebenfalls der letzte Kunde ist. Diese Frequenz war einst für die Balkan-Versorgung von Radio Moskau bestimmt und ist, da sie über eine spezielle Richtantenne läuft, auch nur für dieses Zielgebiet zu gebrauchen.

TWR überträgt hier derzeit zwischen 20.30 und 22.30 Uhr Programme in Romanes, Bulgarisch, Rumänisch, Ungarisch, Bosnisch, Serbisch und Montenegrinisch. Zum Teil ist das wiederum der Ersatz für die Sender in Albanien, die TWR zum Jahresende 2016 verlassen hatte. Drei Monate später wurde die Sendeanlage bei Durrës ganz stillgelegt und 2019 abgerissen.

 

Autor: Kai Ludwig; Stand vom 12.08.2022