USA und nicht nur dort - Zur Story über das Verschwinden eines Mittelwellenmastes

Mittelwellensender WJLX
Kein Symbolbild, sondern tatsächlich die jetzt nicht mehr vorhandene Mittelwellenantenne bei Jasper, Alabama | © radiodiscussions.com

Furore weit über die Nische einschlägiger Publikationen hinaus machte die Meldung über den angeblichen Diebstahl eines Mittelwellenmastes in den USA. Am interessantesten ist daran allerdings der Einblick in die Lage des Journalismus. Ein Kommentar

Es ist wahrlich eine sexy Story: Diebe haben unbemerkt die 60 Meter hohe Antenne eines Mittelwellensenders im US-Bundesstaat Alabama gestohlen!

Es ist auch eine Story, der das Wall Street Journal gleich einen politischen Aspekt abgewinnen konnte: Bürokraten verbieten dem von so dreister Kriminalität betroffenen Radiounternehmer, über UKW auf Sendung zu bleiben!

Das Problem dabei: Ein Minimum an Recherche genügt, und die Geschichte fällt in sich zusammen.

Man braucht nicht weiter zu gehen als bis zu einem digitalen Stammtisch der US-amerikanischen Radioszene. Natürlich ist die Sache dort ein großes Thema. Von hier an wird es interessant.

Es geht um diese Anlage: Ein Kilowatt auf einer der, wie sie in den USA verspottet werden, Friedhofsfrequenzen für Kleinsender (hierzulande sah derartiges so aus). Dies tief im ländlichen Alabama, gut 50 Kilometer nordwestlich der Einrichtungen des auch in Deutschland aktiven EWTN.

Die zentrale Tatsache, am angeführten Ort mit Belegen nachgewiesen: Der Sender war schon seit fast fünf Jahren nicht mehr in Betrieb. Es braucht also nicht weiter darüber diskutiert zu werden, wie das Verschwinden der Antenne unbemerkt bleiben konnte.

Mittelwellensender WJLX
Soll auch ausgeweidet sein: Die Technikbude des Senders WJLX | © radiodiscussions.com

Jetzt wird es pikant: Dieser Kleinsender war die Mutter der als Umsetzer lizenzierten, von anderer Stelle aus betriebenen UKW-Frequenz. Die Zuteilung solcher Stützfrequenzen gehört zu den Maßnahmen, mit denen man (überwiegend: Entscheider in weit fortgeschrittenem Lebensalter) sich in den USA dem Untergang des Mittelwellenrundfunks entgegenstemmt.

Dabei schummelt die Regulierungsbehörde FCC mit der Definition selbst. Eigentlich bezieht der Begriff sich auf die Wiederausstrahlung eines Rundfunksignals, in Deutschland bekannt als Ballempfang. Der „Umsetzer“ eines Mittelwellensenders macht aber natürlich nicht das, sondern hat seine eigene Sendeleitung oder Richtfunkanbindung.

Somit lief das Programm der – anders kann man es nicht mehr formulieren: angeblichen – Mittelwellenstation WJLX seit 2019 ungerührt weiter auf UKW. Dafür hätte man mit dem Verweis auf eine Havarie oder sonstige Zwangslage durchaus eine befristete Genehmigung bekommen. Doch ein solcher Antrag wurde nie gestellt.

Das geschah erst jetzt, nachdem die Story vom verschwundenen Mast bis nach Mitteleuropa kursiert. Die FCC hat den Antrag, wenig überraschend, abschlägig beschieden. Konsequenz war das Ende der fast fünf Jahre praktizierten Piratensendungen auf UKW, denn nun ist es nicht mehr möglich, sich unwissend zu stellen.

Am digitalen Stammtisch werden dazu Wildwest-Geschichten bis hin zu einem Mordfall erzählt. Es würde zu weit führen, dem von hier aus nachzugehen. Wer der englischen Sprache mächtig ist, kann es sich selbst anschauen und entscheiden, ob man diesen Stimmen folgen will.

In Zeiten, in denen der kommerzielle Hörfunk immer stärker in wirtschaftliche Bedrängnis gerät, mag mancher einem Radiounternehmer zu gern glauben und in ihm den sympathischen Underdog sehen. Das ist ganz generell bei einschlägigen Branchendiensten zu beobachten.

Alles weitere formulieren dazu die Bemerkungen eines Kenners der Materie. Er brach sein Schweigen, als damit begonnen wurde, in der Diskussion die internationale Resonanz als Argument zu bemühen:

» Die sagt überhaupt nichts Gutes über die Medien. Ob NBC, die BBC oder wer auch immer: Es ist eine einzige Echokammer, in der die ursprüngliche Geschichte immer wieder abgeschrieben wird, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, die Fakten zu ermitteln.

Niemand wird einen Reporter nach Jasper schicken. Nächste Woche wird das Thema ohne jeden Weiterdreh verschwunden sein. Es ist einfach nur eine von diesen Storys der Art „hey, schaut euch das an“, die Klicks generieren sollen, ohne wirklich zu informieren.

Offen gesagt habe ich das Pingpong dieser Sache in meinem Eingang satt. «

 

Beitrag von Kai Ludwig; Stand vom 11.02.2024