Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Irland - RTÉ auf Sparkurs
Die Rundfunkanstalt der Republik Irland, Radio Telefís Éireann (RTÉ), hat ein Konzept für ihre Zukunft vorgestellt. Es ist geprägt von Demut.
Das Papier A new direction for RTÉ erkennt ausdrücklich die Notwendigkeit an, nach der „jüngsten Kontroverse“ wieder Vertrauen aufzubauen.
Gemeint ist ein Skandal um verdeckte Zusatzzahlungen von insgesamt 345.000 Euro, die RTÉ ab 2017 an einen Starmoderator leistete. Zusammen mit den offiziellen, ohnehin schon überaus hohen Honoraren bezog dieser Ryan Tubridy damit mehr als eine halbe Million Euro pro Jahr.
Die Generalintendantin Forbes war zunächst nicht bereit, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Sie trat erst zurück, nachdem der Rundfunkrat sie vom Dienst suspendierte. Dem folgte die Aufdeckung der Verwendung weiterer Gelder aus schwarzen Kassen für Reisen.
Mitglieder von Rundfunk- und Verwaltungsrat wurden von Parlamentsausschüssen vorgeladen, um die Vorgänge zu erklären. Ein anderer RTÉ-Star schüttete danach weiteres Öl ins Feuer, indem er von „schwachsinnigen Nürnberger Tribunalen“ sprach.
Die Kontroverse ist Thema eines Wikipedia-Artikels, in dem bereits der Umfang der Verweise für sich spricht.
Im Vorwort seines Strategiepapiers erwähnt der neue Generalintendant Kevin Bakhurst von sich aus Entscheidungen über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, mit denen im kommenden Jahr zu rechnen ist. Forderungen nach einer guten Ausstattung dürften kaum noch Chancen auf Gehör haben.
Es würde nicht zutreffen, von „weiterhin gut“ zu sprechen, da bereits eine beträchtliche Schieflage besteht und spätestens seit 2019 unübersehbar ist. Seinerzeit sah RTÉ sich zu Einsparungen im Volumen von 60 Millionen Euro gezwungen.
Dazu gehörte die Auflösung der in Limerick angesiedelten Redaktion des Kulturprogramms Lyric FM, das erst seit 1999 besteht (bis dahin gab es ab 1984 lediglich stundenweise Sendungen mit klassischer Musik auf den UKW-Frequenzen des Programms in irischer Sprache). Gerade so kam es noch zu einer Weiterführung von Dublin aus.
Ebenfalls Teil dieses Sparpakets war die 2021 vollzogene Abschaltung des DAB-Netzes. Entgegen den ursprünglichen Plänen blieben die Digitalprogramme für spezielle Wortbeiträge, elektronische und alternative Musik sowie Kindersendungen seinerzeit noch erhalten.
Jetzt sollen sie tatsächlich entfallen. RTÉ will den linearen Hörfunk künftig auf die vier UKW-Programme sowie den „Gold“-Nostalgiekanal beschränken und sich ansonsten auf Abrufangebote konzentrieren.
Beim Fernsehen soll die Ausstrahlung über DVB-T in der Republik Irland („Saorview“) und in Nordirland „in den kommenden Jahren“ aufrechterhalten werden. Das spezielle „Saorsat“-System, eine Satellitenausstrahlung mit sehr enger Ausleuchtzone im Ka-Band bei 20 GHz, wird in dem Papier nicht mehr erwähnt und auf die Onlineverbreitung verwiesen.
Statt auf Zentralisierung, wie gerade noch bei Lyric FM, setzt RTÉ künftig auf eine Dezentralisierung mit verstärkter Produktion in Cork und räumlicher Verkleinerung in Dublin.
Dabei hatte man sogar in Erwägung gezogen, die Dubliner Zentrale samt aller bestehenden Studios für Hörfunk und Fernsehen aufzugeben. Das wurde aber doch wieder verworfen, da ein solcher Komplettverkauf nach derzeitigem Stand lediglich einen Erlös von 100 Millionen Euro bringen würde.
Im Laufe des Jahres 2024 sollen 10 Millionen Euro eingespart werden. In diesem Zusammenhang will sich RTÉ mit Abfindungszahlungen von 40 Mitarbeitern trennen. Bis 2028 sollen weitere 400 Arbeitsplätze und damit rund 20 Prozent der Belegschaft entfallen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Personen mit Jahresgehältern von mehr als 100.000 Euro.
Es hängt nun von den Entscheidungen der irischen Regierung ab, ob die weitere Entwicklung von RTÉ diesen eigenen Vorstellungen entsprechen wird.
Wer will, könnte als Vorahnung auffassen, was parallel zur Entfaltung des Tubridy-Skandals geschah: Innerhalb von zwei Tagen verschwanden die Antennen der leistungsfähigsten AM-Sender von RTÉ, ihres Zeichens das höchste bzw. zweithöchste Bauwerk der Republik Irland.
Es begann am 25. Juli 2023 mit dem 296 Meter hohen Mast des Mittelwellensenders Ballycommon bei Tullamore.
Diese Anlage hatte 1975 den alten Sender Athlone abgelöst. Von dort kam ab 1979 stattdessen die zusätzliche Frequenz 612 kHz mit einem neuen Musikprogramm, dem heutigen 2 FM.
Wie zuvor schon bei der BBC hatten die auch in Irland, hier gleich von Land aus, sprießenden Piratensender diesen Schritt erzwungen. Bis dahin bestand der RTÉ-Hörfunk lediglich aus einem Vollprogramm, aus dem 1972 wenigstens die irischsprachigen Sendungen herausgelöst wurden.
Um die Konkurrenzfähigkeit des RTÉ-Radios war es somit ähnlich bestellt wie beim Fernsehen. Die entsprechend umfangreiche Nutzung englischer Programme in der Republik Irland ist bis heute der sprichwörtliche Elefant im Raum.
Ihren Betrieb auf 567 kHz beendete die Anlage Ballycommon bereits 2008. Ihr blieben somit keine drei Jahre, um in Deutschland noch als etwas anderes in Erinnerung zu bleiben als das, was sie über Jahrzehnte war: Hauptsächlicher Störer der Mittelwellenverbreitung des Senders Freies Berlin, an die inzwischen nichts mehr erinnert.
Eine Besonderheit war der Lieferant der 500 kW starken Senderanlage in Ballycommon, wie im Fernsehbeitrag über die Schließung zu sehen: Sie kam weder aus Europa noch aus Nordamerika, sondern aus Japan. Mit solcher Technik der Firma NEC stattete seinerzeit auch der japanische Rundfunk NHK seine Großmittelwellen aus.
Deutlich kürzer ist die Geschichte des mit 249 Metern zweithöchsten Bauwerks, das am 27. Juli 2023 verschwand: Die Langwellenantenne beim Dorf Summerhill, nordwestlich von Dublin.
Die Anlage, gebaut von US-amerikanischen Lieferanten, entstand für ein Gemeinschaftsprojekt mit RTL, das auf Großbritannien zielte. Das brachte RTÉ von dort den Vorwurf ein, nun selbst einen Pop-Piraten zu betreiben.
Ersten Sendeversuchen im August 1989, noch mit einem ganz klassischen AM-Klang, folgte bereits im September der Start dieses Atlantic 252. Geringstmögliche Leitungskosten waren dabei das Maß aller Dinge: Die Studios befanden sich in der wenige Kilometer entfernten Ortschaft Trim.
2001 fand dieses Projekt sein Ende. Anschließend wurde versucht, mit Teamtalk 252 auf der Frequenz ein Sportprogramm zu etablieren. Das scheiterte spektakulär; der Betrieb wurde nach wenigen Monaten unvermittelt abgebrochen.
2003 begann RTÉ schließlich damit, auf 252 kHz die AM-Version seines eigenen Radio 1 zu übertragen, um im Gegenzug alle Mittelwellen aufzugeben. 2007 ersetzte ein neuer Transistorsender die originalen Röhrensender. Das deutete auf eine Absicht, die Frequenz auf längere Sicht zu nutzen.
Dennoch sollte ihr Betrieb bereits 2014 enden. Damit zog RTÉ massive Kritik auf sich, in die wegen der hier ausgestrahlten Gottesdienste auch die römisch-katholische Kirche lautstark einfiel.
Es folgte ein unwürdiges, von Unaufrichtigkeit geprägtes Gezerre. Während die Politik mit wenig glaubhaften Behauptungen über den Umfang der Langwellennutzung durch irische Migranten in Großbritannien hantierte, ging RTÉ dazu über, den Sender immer öfter mit der fadenscheinigen Begründung „Wartung“ über Stunden bis Wochen ausgeschaltet zu lassen.
2019 war in den Redaktionen von RTÉ das Verständnis für die Anhänger der Langwelle erschöpft. Davon zeugte ein Interview mit einem Vertreter der Partei Fine Gael, der zur dramatischen Finanzlage des Hauses nur Allgemeinplätze zu bieten hatte und sich auch mit einer (natürlich unbeantwortet gebliebenen) Frage nach seinen „verrückt spielenden“ Kollegen konfrontiert sah.
Die konkreten Betriebskosten wurden für 2022 erstmals genannt: 250.000 Euro.
Für das Jahr 2023 gab RTÉ eine Prognose von mehr als 400.000 Euro, um zu erklären, nun wirklich nicht mehr in der Lage zu sein, den Langwellenbetrieb noch weiter fortzusetzen. Mit dem heutigen Wissen könnte auch diese Zahl natürlich kaum noch Eindruck hinterlassen: Immer noch weniger, als für die Mitwirkung einer einzigen Person ausgegeben wurde.
Offen bleibt, auf welche Sendeleistung sich das überhaupt bezog. Die 2007 installierte Anlage hatte jedenfalls nur noch Verstärkerblöcke für 300 kW, während zwischen 19.00 und 5.00 Uhr mit höchstens 100 kW gesendet werden durfte. Hinter vorgehaltener Hand war einmal von noch gefahrenen 150 kW tagsüber und 60 kW abends/nachts die Rede.
Vorbei war es mit der Langwellenausstrahlung von Radio 1 schließlich wenige Minuten nach Anbruch des 15. April 2023. Danach übertrug der Sender noch eine Hinweisschleife, bis er am Vormittag des 18. April endgültig ausgeschaltet wurde.
Auch online nachzulesen sind die für Großbritannien gegebenen Verweise auf Satellit, Kabel und Internetverbreitung. Dem folgt eine Auflistung der weiterhin mit Gottesdiensten bespielten Sendeplätze.
Offiziell dürfte der AM-Rundfunk in der Republik Irland damit beendet sein. Piraten gibt es noch heute, selbst mit Wiederausstrahlungen von RTÉ-Programmen.
Ein Pirat war ursprünglich auch die vorletzte reguläre AM-Frequenz 549 kHz vom Sender Monaghan, wenige Kilometer vor der Grenze zu Nordirland. Er entstand in den 90er Jahren für die seinerzeit auch über den Hochleistungssender Bolschakowo (Gebiet Kaliningrad) aktiv gewesenen United Christian Broadcasters.
Nach einem Hinweis auf die Folgen, welche diese illegale Ausstrahlung für die britische Lizenz haben könnte, gründete UCB einen Ableger in der Republik Irland und schaltete 2006 den Sender ab, um sich an einer offiziellen Ausschreibung zu beteiligen.
Dabei fiel UCB jedoch sowohl mit dem Stammhaus als auch der irischen Dependance schon in der Vorauswahl durch. Der Zuschlag ging an East Coast FM mit dem Projekt Spirit Radio.
Aus der zunächst angekündigten Ausstrahlung auf der Großmittelwelle 612 kHz wurde nichts. Es blieb bei der Nachnutzung des von UCB hinterlassenen Senders Monaghan, wobei aus Kostengründen die Geräte in der Regel nur mit 11 kW betrieben wurden.
Das war offensichtlich eine Farce, die einzig dazu diente, sich als angebliche Stützfrequenzen einen ganzen Zoo an UKW-Kleinsendern genehmigen zu lassen. Seit Oktober 2022 bleibt die Mittelwelle 549 kHz nun ausgeschaltet, was kein Problem für die weitere Nutzung der UKW-Frequenzen mehr zu sein scheint.
In diesem Zusammenhang gab es Andeutungen über erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten, in denen sich Spirit Radio befindet. Dessen digitale Verbreitung ist in der Tat bereits entfallen.
In Nordirland existiert der AM-Rundfunk nach wie vor, allerdings in mittlerweile deutlich eingeschränkter Form.
Insbesondere wird in den kommenden Wochen die Verbreitung eines in Belfast produzierten Programms auf 1026 kHz entfallen. Nachdem die BBC ihr Radio Ulster bereits 2021 von der Mittelwelle genommen hatte, verbleiben bis zur völligen Einstellung des Betriebs damit nur noch Wiederausstrahlungen von Programmen aus England.
Beitrag von Kai Ludwig; Stand vom 19.11.2023