Vorwürfe diesmal umgekehrt - Die Auslandssender und ihre Leute in Afghanistan
Zurück in der Diskussion ist die Frage, wie seit 2021 mit den afghanischen Mitarbeitern der bekannten Auslandssender und ihren Verwandten umgegangen wird. Die jetzt in Deutschland erhobenen Vorwürfe gehen in die entgegengesetzte Richtung, als es in den USA der Fall war.
Der Wirtschaftsdienst Business Insider hält der Deutschen Welle vor, sie habe Vetternwirtschaft betrieben und dabei tatsächlich gefährdete Menschen im Stich gelassen. Der Sender hat die Vorwürfe zurückgewiesen.
Über die Motive, aus denen, wie in der Mitteilung formuliert, Intendant Peter Limbourg „genauso wieder handeln“ würde, ist schon seinerzeit berichtet worden: Wenige Tage nach dem Machtwechsel suchten Angehörige der Taliban nach einem Journalisten der Deutschen Welle. Das war soweit vergeblich, da er sich in Deutschland befand.
Die Kämpfer trafen jedoch dessen Verwandte zu Hause an, erschossen einen Menschen und verletzten einen weiteren schwer. Die anderen Familienangehörigen konnten der Razzia entkommen. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts öffentlich bekannt.
Seinerzeit gab die Deutsche Welle einen Einblick, wie sie zunächst 72 Menschen aus Afghanistan herausholte, die aus den unten beschriebenen Gründen nicht ausgeflogen werden konnten: Sie begaben sich auf dem Landweg nach Pakistan. Ähnlich war auch die Konrad-Adenauer-Stiftung vorgegangen.
Die USA ihrerseits setzten bereits zwei Wochen vor dem – zu diesem Zeitpunkt noch nicht so schnell erwarteten – Machtwechsel eine Regelung in Kraft, mit der unter anderem Mitwirkende US-amerikanischer Medienhäuser und deren engste Angehörige das Recht auf Asyl erhielten. Auslöser waren erste Mordfälle.
Die New York Times, die Washington Post und das Wall Street Journal machten davon rechtzeitig Gebrauch und holten ihre 240 Mitarbeiter heraus. Ganz anders entwickelte sich das bei den Sendern der US Agency for Global Media: Auch nach Wochen befanden sich immer noch 550 von deren Leuten in Afghanistan.
So hatte vor dem endgültigen Abzug ein Botschaftsvertreter 25 freie Mitarbeiter der Voice of America am zu diesem Zeitpunkt noch militärischen Teil des Kabuler Flughafens abgewiesen, da sie keine Arbeitsverträge besaßen. Beschrieben wurde die dortige Lage als „beispiellose Massenpanik“ an einer Arche Noah, die ihre Schotten geschlossen hat.
Abgeordnete des Kongresses richteten eine Aufforderung an das Weiße Haus, tätig zu werden. Die Reaktion der USAGM bestand darin, sich für dieses Schreiben „dankbar“ zu zeigen.
Einer der zurückgelassenen Journalisten von Radio Free Europe / Radio Liberty meldete sich mit diesen Worten:
» Unsere Kollegen sind fertig. Mental und psychisch geht es ihnen nicht gut. [...] Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob ich eine Chance habe, herauszukommen und wie ich zum Flughafen gelangen könnte, weil ich mir nicht vorstellen kann, dort hinzufahren, wenn die Taliban auf der Straße sind. «
Den Taliban waren die Namen der Mitarbeiter und ihrer Familienangehörigen auch noch offiziell bekannt: Sie erhielten diese Angaben vom State Department. Das deutsche Auswärtige Amt hat ebenfalls solche Listen übermittelt.
Nach den Worten des damaligen Präsidenten von Radio Free Europe / Radio Liberty, Jamie Fly, begab der Personenkreis sich mehrfach zum Flughafen, hielt sich teils tage- und nächtelang an den Toren auf, wurde jedoch nie hereingelassen:
» Man hätte erwartet, dass die Regierung der Vereinigten Staaten [...] mehr versuchen würde, um den Journalisten zu helfen, die sich entschieden haben, das Land lieber zu verlassen. Doch das hat sie durchweg unterlassen. «
RFE/RL habe, so Fly gegenüber der Washington Post weiter, Plätze in tschechischen Flugzeugen gesichert. Die Mitarbeiter des Senders seien jedoch selbst nach direkten Telefonaten mit Regierungsvertretern nicht auf das Flughafengelände gelassen worden. Die Plätze in den startenden Maschinen blieben leer.
Ansonsten waren es vor allem Angehörige von Entwicklungshilfe, Bildungsinstitutionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von den USA im Stich gelassen wurden. Ein Republikaner im Repräsentantenhaus sprach von einer „absoluten Schande“.
Das Thema beschränkt sich keineswegs auf „Ortskräfte“. Die VOA sprach mit einer US-Amerikanerin, die vergeblich den zur Abholung benannten Ort aufsuchte und ungeachtet ihres vorgezeigten Passes ebenfalls nicht zum Flughafen vorgelassen wurde.
Dazu schilderte die damalige Leiterin des VOA-Büros in Islamabad, wie es ihr selbst erging:
» Ich musste dreimal zum Flughafen fahren, es an mehreren Toren versuchen, mich an verschiedene Kontakte und Quellen wenden. Ich musste mein gesamtes Gepäck zurücklassen und für Stunden in einer Menschenmasse stehen. Und dabei hatte ich einfach das Glück, dicht genug heranzukommen, bis ich meinen amerikanischen Pass hochhielt und hereingezogen wurde. «
Diese Vorgänge sorgten in den Stäben von Abgeordneten des Kongresses für großen Unmut. Zu den Chancen der, wie US-Amerikaner sie nennen, „local nationals“ hieß es dort:
» Wenn Sie kein Visum in Ihrem Pass haben, dann hat Sie das Glück aber völlig verlassen. «
Teilweise existierten diese Pässe überhaupt nicht mehr, da sie zur Erteilung eben jener Visa bei der US-Botschaft in Kabul eingereicht waren und dort bei der Räumung im Saigon-Stil kurzerhand verbrannt wurden.
Ein Mitarbeiter von RFE/RL setzte dramatische Tweets ab, als er die Erwartung, ausgeflogen zu werden, enttäuscht sah. Letztlich begaben er und seine Ehefrau sich mit ihrem Kleinkind selbst auf die Flucht und versteckten sich in mehreren afghanischen Städten, bis es ihnen unter erheblichen Schwierigkeiten gelang, die Grenze nach Pakistan zu überschreiten.
Die Familie fand zunächst Asyl in Albanien. In die USA einreisen konnte sie 2022 nur durch Ausnutzung von Beziehungen. Zu einer erneuten Beschäftigung des früheren, so zumindest seine eigene Beschreibung, Teamleiters durch RFE/RL kam es nicht.
Seine Enttäuschung darüber brachte der Journalist offen zum Ausdruck. Auch über den Umgang mit den nach Deutschland gekommenen Landsleuten äußerte er sich prononciert und forderte, dafür „jemanden“ zur Verantwortung zu ziehen.
Ebenso deutlich kommentierte der afghanische Journalist die Einlassungen der, wie er schrieb, „Chefs von RFE/RL, die alle Schuld auf US-Regierung und Militär abwälzten“:
» USAGM und RFE/RL hatten verschiedene Möglichkeiten (wir haben sie der Leitung seinerzeit vorgeschlagen), doch sie bestanden darauf, auf die Regierung zu warten. So konnten wir nur dabei zuschauen, wie viele private Medienhäuser ihre Mitarbeiter fast mühelos und geordnet ausflogen. «
2023 beendete Jamie Fly die Tätigkeit als Präsident von RFE/RL, da sich ihm eine andere Möglichkeit eröffnete: Ein Posten bei Palantir, das in Deutschland mit seinen Lösungen zur Datenanalyse ebenfalls zum Zug kommen sollte.
Die BBC wiederum meldete sich zwar mit Werbung für die Tätigkeit einer eingeflogenen Starreporterin, hatte zur Lage ihrer ortsansässigen Mitwirkenden jedoch nichts zu sagen.
Das überließ sie dem Guardian, der darüber berichtete, wie Inhaber britischer Reisepässe ihre Hoffnung verloren, als sie vom Außenministerium nur noch abgewimmelt wurden.
Gegenüber der Zeitung äußerte sich ein Reporter des BBC World Service. Er sollte mit seiner drei Monate alten Tochter zurückgeholt werden und konnte auch einen Bus zum Flughafen erreichen. Dort gab es jedoch lediglich die Information der Absage des Fluges. Bei einer letzten Kontaktaufnahme sei zugesichert worden, sich bei Neuigkeiten sofort zu melden.
Danach sei an der Afghanistan-Hotline des Außenministeriums nur noch die Standardantwort gekommen, auf Rückruf zu warten. Auf Mails gebe es keine Antwort, und unter der Rufnummer der britischen Botschaft in Kabul höre schon seit Tagen niemand mehr:
» Das ist für mich und meine Familie ein absolut desaströses Szenario. Es sind bereits Racheaktionen im Gange und die Taliban haben konkrete Personen im Visier. Ich bin in Kabul gut bekannt. Wenn die Regierung uns nicht hilft, wird es leider Todesopfer geben. «
Im Frühjahr 2022 kam es zum Verbot einer Übernahme von Zulieferungen der Deutschen Welle, der BBC und der VOA durch afghanische Fernsehsender. Ihre eigenen Sendeanlagen in Afghanistan konnten die VOA und RFE/RL noch bis zum November des Jahres nutzen.
Dann verloren sie unter anderem den Zugriff auf eine Investition von 10,5 Millionen Dollar aus dem Jahre 2003: Ein Ersatz der Mittelwellen-Sendetechnik bei Kabul, welche die USA 2001 selbst zerstört hatten.
Installiert und an die verschont gebliebenen Antennen angeschlossen wurden gleich zwei Senderblöcke mit jeweils 400 kW: Einer für die Bestandsfrequenz 1107 kHz, die unverändert in Betrieb ist, und ein zweiter für Zwecke der USA mit der (jetzt aus Tadschikistan eingesetzten) Frequenz 1296 kHz.
Dazu erhielt der afghanische Rundfunk TDA noch ein Geschenk des ORF: Teile der Studiotechnik des seinerzeit aufgelösten Radio Österreich International.
Die Realisierung eines weiteren Projekts zog sich bis 2010 hin, weil es auf US-Seite abgelehnt wurde, die damals üblichen Zuwendungen an afghanische Amtsträger zu leisten: Ein Sender mit 200 kW Leistung bei Chost, der das angrenzende, von Paschtunen bewohnte Gebiet von Pakistan erreichen sollte.
Für dieses Sendegebiet hatte die VOA ein spezielles Programm geschaffen. Wie schon in Afghanistan fühlte sich RFE/RL erneut berufen, diese Bemühungen zu duplizieren. Das nahmen die Behörden in Islamabad übel und verfügten 2018 die Schließung des dortigen Büros von RFE/RL.
Die Betriebsführung, sowohl der Mittelwellen als auch der zahlreichen, ebenfalls genutzten UKW-Frequenzen, lag bei TDA. Dies war vertraglich gebunden, und zwar auf Jahre hinaus.
In Washington hatte man tatsächlich auf eine Erfüllung des Vertrags durch die afghanischen Seite gesetzt. Davon zeugte eine Markterkundung für die Beistellung von Leistungen zum Betrieb der Dieselaggregate, mit denen der Mittelwellensender Chost und ein Teil der UKW-Anlagen arbeiteten.
Die BBC hatte ihrerseits damit gerechnet, bei Übernahme der Kontrolle durch die Taliban sofort auf UKW abgeschaltet zu werden. Das geschah auch hier nicht.
Erst im vergangenen Juni wurde ein Wegfall der Ausstrahlung in Laschkar Gah, der Hauptstadt der Provinz Helmand, gemeldet. Wie es in dem (nicht frei abrufbaren) Agenturtext hieß, gehöre der Sender wiederum TDA. Die beiden Techniker, die sich um die Sendetechnik kümmerten, seien nach der Rückkehr der Taliban bis zur Zwangsabschaltung weiter tätig geblieben.
Die afghanische Agentur fügte hinzu, keine Informationen zur Lage in anderen Provinzen zu haben. Auch anderweitig lassen sich keine Angaben darüber beschaffen, was aus den dortigen UKW-Frequenzen der BBC geworden ist.
Beitrag von Kai Ludwig; Stand vom 03.11.2024