Medienkrise in Kanada - Bell-Konzern streicht weitere 4800 Arbeitsplätze
Innerhalb von acht Monaten kommt es beim kanadischen Bell-Konzern zum zweiten Massenabbau von Arbeitsplätzen, diesmal 4800 (neun Prozent der Belegschaft), damit der größte in drei Jahrzehnten. Im Geschäftsfeld Medien, auf das zehn Prozent der Stellenstreichungen entfallen, ist das erneut mit drastischen Einschnitten verbunden.
Bell Media hat mit sofortiger Wirkung eine Anzahl von Nachrichtensendungen seiner CTV-Fernsehprogramme eingestellt. Die Berichterstattung von verschiedenen Orten soll künftig auf den unter dem Schlagwort „Mojo“ (für „mobiler Journalist“) bekannten Einsatz von Einzelpersonen beschränkt werden.
Weitere 45 der jetzt noch verbliebenen 103 Hörfunkstationen werden verkauft, da sie unrentabel seien. Ein Verantwortlicher sagte, das gesamte Radiogeschäft entwickele sich „in die falsche Richtung“.
Wie weiter angegeben wurde, seien 2023 die Werbeeinnahmen von Bell Media gegenüber 2022 um 140 Millionen Kanadische Dollar zurückgegangen.
Ein Analyst teilt diese Aussagen nur bedingt. Er sieht den Grund für das unerwartete Ausmaß der Einschnitte in bestehendem Druck auf die Geschäftsführung, höhere Dividenden auszuschütten.
Mit seinem aktuellen Schritt beendet Bell alle Hörfunkaktivitäten in ländlichen Gebieten von British Columbia. Dessen Ministerpräsident Eby reagierte mit drastischen Worten:
» Im Namen aller in British Columbia, die sahen, wie ihre lokalen Nachrichtensender langsam in Schrott verwandelt wurden – von diesen Firmen, die jetzt wenig überraschend erklären, sie hätten nur wenig Unterstützung – sage ich einfach nur: Schämt euch! [...]
Bell und ähnliche Firmen sind verantwortlich für den Ausverkauf lokaler Medien, die für die örtliche Bevölkerung ein Schatz waren. Sie haben sie aufgekauft wie Vampire, ausgesaugt und die Journalisten entlassen. «
Für die kanadische Bundesregierung sagte Kulturministerin St-Onge, sie sei „aus vielen Gründen extrem enttäuscht“. Im vergangenen Jahrzehnt sei großen Konzernen die Übernahme von Lokalsendern gestattet worden, da sie zusicherten, auf dem Gebiet des Journalismus „zu liefern. Heute rücken sie von diesem Versprechen ab.“
Von einem Einschreiten der Regulierungsbehörde CRTC, wie Eby es ebenfalls gefordert hat, sprach die Ministerin nicht.
Enttäuscht zeigte St-Onge sich kurz zuvor schon über das Verhalten der öffentlich-rechtlichen Canadian Broadcasting Corporation. Diese hat in vorauseilendem Gehorsam einen noch drastischeren Stellenabbau als jetzt bei Bell Media beschlossen und behauptet, damit auf Weisung der Regierung zu handeln.
Stand vom 11.02.2024
Der vorherige Stellenabbau bei Bell im Juni 2023 betraf 1300 Arbeitsplätze. Sechs Prozent der Belegschaft des Geschäftsfelds Medien wurden auf einen Schlag entlassen.
Im Hörfunk gab Bell in dieser Runde neun Mittelwellenstationen auf. Drei davon sind auch jetzt noch aktiv, da sich Betreiber von Programmen für Einwanderer aus Südasien für diese Frequenzen in Hamilton und Windsor interessieren. Auch acht Monate später ist jedoch offen, wie sie so eine Vergrößerung finanzieren wollen.
Die anderen sechs Programme stellte Bell auf einen Schlag ein, parallel zur Bekanntmachung des Schrittes (die unterschiedlichen Uhrzeiten rühren lediglich aus den unterschiedlichen Zeitzonen). Bevor die Sender teils schon am nächsten Tag stillgelegt wurden, waren noch ausgesprochen stillose Hinweisschleifen zu hören.
Am überraschendsten war die Schließung von Newstalk 1290 in London (Ontario). Womöglich fiel es auch den komplexen Richtauflagen zum Opfer, mit denen die Frequenz behaftet ist. Sie erforderten eine für 10 kW auf Mittelwelle absurd aufwendige Sendeanlage mit acht Masten.
Inzwischen riskiert man mit solchen Bemerkungen, als „Nerd“ abgestempelt zu werden, der die Tragweite der Entwicklungen überhaupt nicht versteht.
Das zeigt einerseits, wie blank die Nerven mittlerweile liegen. Andererseits kann so mancher medienpolitischen Diskussion ihrerseits bescheinigt werden, im Elfenbeinturm stattzufinden.
Somit sei an dieser Stelle weiter beschrieben, wie in Calgary ein Sender verschwand, der für 101 Jahre bestand – wenn auch nicht am letzten Standort, der in den frühen 80er Jahren aufgebaut wurde.
In die Bedeutungslosigkeit abgeschoben wurde diese Großmittelwelle bereits 2013. Seitdem lief hier unter dem Titel „Funny 1060“ nur noch ein aus den USA bezogenes Comedy-Format, mit dem Bell auch zwei andere der aufgegebenen Sender bespielt hatte.
Die Besonderheit lag in Calgary in einem zusätzlichen Kleinsender auf der Kurzwelle 6030 kHz. Mit ihm wollte die einstige „Voice of the Prairies“ („Stimme der Prärie“; daher auch die Kennung des Kleinsenders: CFVP) ab 1931 ihrem Namen besser gerecht werden, da es erst 1960 gelang, die Genehmigung für eine Verstärkung der Hauptfrequenz auf 50 kW zu erhalten.
2019 war dieser Kleinsender bereits ausgefallen. Nachdem ihn Sendetechniker aus Liebhaberei nach zwei Jahren noch einmal reparierten, war es am 16. Juni 2023 endgültig vorbei.
Die damit letzte, auf das Jahr 1937 zurückgehende Kurzwellen-Rundfunkfrequenz in Kanada, 6070 kHz, betreibt wiederum Bell. Sie ist das Beiboot der ältesten (seit 1927) Mittelwellenstation in Toronto.
Hier könnte bald die Liebhaberei der Techniker dafür gefragt sein,die unscheinbare Peitschenantenne umzusetzen. Grund ist eine geplante Verkleinerung der Sendeanlage, die nicht in freier Landschaft, sondern mitten in Mississauga-Clarkson steht.
Bereits freigezogen ist deshalb das von der Einrichtung des heutigen Standorts im Jahre 1971 stammende Technikgebäude. Darin standen der ursprüngliche, typisch US-amerikanische Röhrensender, ein Transistorsender der ersten Generation und der kleine Kurzwellensender.
2018 übernahm den Betrieb neue Technik, die ihren Platz direkt an den vier Masten fand. Neben einem Mittelwellensender aktueller kanadischer Bauart wurde auch die Kurzwelle weiter berücksichtigt. Da es hier um lediglich 1000 Watt geht, ist dieser Sender nur noch ein unscheinbarer Einschub.
Nicht täuschen lassen sollte man sich von der Marke, unter der sich das hier ausgestrahlte Newstalk 1010 und weitere Programme präsentieren. Es handelt sich nicht etwa um eine weitere Expansion des US-amerikanischen iHeartMedia, sondern nur um eine strategische Partnerschaft.
Die CBC hat sich bereits 2017 von der Kurzwelle zurückgezogen. Auch hier ging es zuletzt nur noch um zwei Kleinsender jenen Typs, wie er von den 80er bis 2010er Jahren in Toronto lief.
Beide Sender teilten sich die Frequenz 6160 kHz. Das war kein Gleichwellenbetrieb mit streng identischem Programm, sondern eine Wiedernutzung der Frequenz, die so praktiziert werden konnte, da es sich um fast 5000 Kilometer voneinander entfernte Standorte ganz im Osten und Westen von Kanada handelte.
In Vancouver endete der Kurzwellenbetrieb auf gleiche Weise wie zuvor schon 2007 bzw. 2012 bei den beiden Kurzwellensendern der mittlerweile bis zur grünen Wiese eliminierten Sendestation Berlin-Britz: Durch einen Defekt, der nicht mehr mit den vorhandenen Ersatzteilen behoben werden konnte.
Inzwischen kam es in Vancouver auch für die Mittelwelle zu einem Teilrückbau der Sendestation. Dabei verschwanden die beiden äußersten der vier Masten, die auf Plattformen fast schon im Wasser der Georgiastraße standen. Das zog eine Reduzierung der Sendeleistung von 50 auf 25 kW nach sich.
Diese Mittelwelle ist weiterhin in Betrieb, weil es der CBC in British Columbia bis heute nicht gelang, eine umfassende UKW-Versorgung aufzubauen.
Das sieht im Umfeld der östlichen Metropolen ganz anders aus. So entfiel die Mittelwellenverbreitung von Radio One in Montreal und in Toronto bereits 1999.
Eine erste Nachnutzung der Frequenzen in Montreal endete 2010. Alles, was danach folgte, war und ist nur noch eine Farce.
Keine Rolle mehr spielte dabei die leistungsfähige Mittelwellenanlage der CBC. Sie ging nie wieder in Betrieb und wurde schließlich, um das Grundstück als Bauland verwerten zu können, 2010 abgerissen.
In Toronto hat die CBC hingegen für die Ausstrahlung des französischen Programms, die politisch auch hier erforderlich ist, weiterhin keine andere Möglichkeit als die Mittelwelle. Der Sender blieb deshalb von vornherein aktiv.
Auch die Nachnutzung der Frequenz von Radio One durch einen privaten Veranstalter gestaltete sich in Toronto stabil. Dabei entschied man sich, die Sendetechnik der CBC mit der Ausstrahlung zu beauftragen. Die inzwischen modernisierte Mittelwellenstation ist somit weiterhin voll in Betrieb.
Ebenfalls 2017 meldeten in St. Johnʼs, an der Ostküste von Neufundland, die Techniker einen Ersatz des Kurzwellensenders an. Der dortige Kurzwellenbetrieb begann 1940, also noch vor dem Beitritt Neufundlands zu Kanada.
Statt des gewünschten neuen Geräts kam aus Ottawa die Verfügung eines Abschaltversuchs. Danach hörten die Techniker nichts mehr von dieser Angelegenheit, bis sie nach Monaten noch einmal nachfragten. Wie ihnen beschieden wurde, war die Frequenz 6160 kHz schon längst endgültig gestrichen.
Zielgebiet war in diesem Fall vor allem Labrador. Deshalb übertrug der Kurzwellensender ab 1989, als so etwas nicht mehr an den Leitungskosten scheiterte, nicht weiter das Programm der Mittelwelle, sondern die mit Programmfenstern aus dem Studio Goose Bay versehene Version von Radio One.
1995 verlegte die CBC ihre AM-Technik heraus aus dem Stadtgebiet von St. Johnʼs. Neben dem weiterhin aktiven Mittelwellensender ist, oder war zumindest drei Jahre nach der Abschaltung, am damit geschaffenen Standort auch die Kurzwellenantenne nach wie vor vorhanden.
Die durch den gleichnamigen kalten Meeresstrom unwirtliche Halbinsel war auch das allerletzte Zielgebiet der leistungsfähigen Kurzwellenstation der CBC, Sackville bei Moncton in Neubraunschweig. Den Weg frei zur finalen Abschaltung am 30. November 2012 machte deshalb der Aufbau von fünf neuen UKW-Sendern auf Labrador.
Die Hörfunksendungen von Radio Canada International endeten zuvor am 24. Juni 2012. Das war ein markanter Punkt des extrem langsamen Niedergangs, der 1991 mit der Einstellung unter anderem des deutschsprachigen Programms begonnen hatte.
Als völliges Ende kann man das Jahr 2021 ansehen. Zwar gibt es immer noch das Produkt „RCI – Canadian news in 7 languages“. Mit dem seinerzeit eingeführten „Konzept“ enthält es aber lediglich vorhandene Texte, die von einer einstelligen Zahl Mitarbeiter in Arabisch, Chinesisch, Spanisch, Panjabi und Tagalog übersetzt werden.
Beitrag von Kai Ludwig