Abwicklungsplan offiziell zurückgezogen - BBC Singers bleiben bestehen
Große Empörung zog die BBC im März 2023 auf sich, indem sie ihr Gesangsensemble kurzfristig auflösen wollte. Zusätzliches Öl ins Feuer schüttete die Art und Weise, in der die Verantwortlichen ihren Plan durchzusetzen suchten. Danach probierten sie es mit einer Hinhaltetaktik. Für die offizielle Absage des Vorhabens brauchten sie fast ein Jahr.
Verkauft wurde der Rückzieher als Mitteilung einer neuen Kooperation mit der Stiftung des Vokalensembles Voces 8. Nur ansatzweise herauszulesen ist aus dem Text, was konkret geplant ist: Die Stiftung arbeitet erfolgreich an der Einwerbung von Aufträgen im Bereich der musikalischen Bildung, und anscheinend sollen die BBC Singers dabei einbezogen werden.
In ihrer Verlautbarung bekennt sich die BBC auch zum Erhalt aller Orchester. Hier war der Abbau eines Fünftels der Stellen angekündigt. Vermutlich hätte das eine Eingliederung des Konzertorchesters in das Sinfonieorchester nach sich gezogen, denn aus politischen Gründen sollte dieser Schritt ausschließlich in London umgesetzt werden.
Die Pressemitteilung, in der die beabsichtigte Auflösung der BBC Singers offengelegt wurde, weckte die sprichwörtlichen Assoziationen mit George Orwell. Dafür genügte der erste Blick auf die Überschrift: „Neue Strategie für klassische Musik priorisiert Qualität, Agilität und Impact.“
Das Ende der Tätigkeit des Ensembles war bereits für den Juli geplant. Anscheinend wollte man so eine nochmalige, womöglich von Protesten begleitete Mitwirkung bei den Proms-Konzerten verhindern.
Ein Brandbrief der Chorleitung machte öffentlich, in welcher Art und Weise mit dem Ensemble umgegangen wurde.
Die Rede war von einer „Kultur von Angst und Paranoia“, die entstanden sei, weil schwerwiegende Entscheidungen kurzerhand, „ohne jede seriöse Analyse oder sinnvolle Beratungen“, getroffen werden. In der BBC herrsche „eine toxische Kultur, vom Generaldirektor abwärts“.
Im Zentrum des Brandbriefs standen zwei Verantwortliche, die aktuell dafür kritisiert werden, in Zeiten von Sparmaßnahmen neue Radiokanäle starten zu wollen: Charlotte Moore, mit dem sich einer Übertragung in deutschen Klartext entziehenden Titel „Chief Content Officer“, und die Direktorin Musik, Lorna Clarke.
Letzterer wurde eine „aggressive und konfrontative“ Gesprächsführung bescheinigt. Dies werde immer wieder durch Erzählungen anderer Kollegen bestätigt. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Auflösung sei Clarke in den Urlaub abgereist und habe so zu dem Brandbrief gezwungen.
Als einziges Mitglied der Geschäftsführung, dem der Chor überhaupt ein Begriff war, nannte der Brandbrief seinen hauptsächlichen Adressaten: Den damaligen, inzwischen zurückgetretenen BBC-Vorsitzenden Richard Sharp.
Niemand von denen, die bei der Entscheidung zur Abwicklung mitgewirkt hatten, habe jemals einen Auftritt oder die Probe- und Aufnahmearbeit besucht. Das gelte ausdrücklich auch für die Verfasserin der Studie, mit der die Absicht zur Auflösung der BBC Singers gerechtfertigt wurde.
Die dazu veröffentlichte Pressemitteilung sei „eine krasse Peinlichkeit“. Es sei „atemberaubend“, wie die BBC glaube, mit dieser Art von Kommunikation „irgendetwas anderes zu erreichen als die schwierige Lage, in der Sie sich jetzt wiederfinden“.
Der Vorschlag zur Auflösung sei zunächst den Führungskräften des Hörfunks mitgeteilt worden. Der Programmchef von Radio 4 habe davon am Rande „einer externen Veranstaltung in Deutschland im Oktober“ (2022) weiteren Mitarbeitern erzählt.
Die danach zur Rede gestellte Direktorin Clarke habe alles abgestritten und von einer „Verwechslung“ gesprochen. Später sei sie nicht in der Lage gewesen, überhaupt den mit der Abwicklung der BBC Singers und dem Stellenabbau in den Orchestern einzusparenden Betrag zu nennen.
Der Brandbrief endete mit den Worten, man sei „schockiert“ von diesen Ereignissen, die mit den grundlegenden Werten der BBC nicht vereinbar seien. Man habe „kein Vertrauen in das Leitungsteam der BBC mehr“.
Das damalige Jahresbudget der BBC Singers war natürlich bekannt: 1,8 Millionen Pfund (entspricht 2,1 Mio. Euro). Der Vergleich mit dem Sportreporter Gary Lineker zeigt, wie die BBC hier jedes Maß verloren hat: Lineker allein bezog für seine Mitwirkung 1,35 Millionen Pfund (1,6 Mio. Euro).
Unter diesen Umständen blieb den Verantwortlichen nur, nach zweieinhalb Wochen zurückzurudern und die „Aussetzung“ des Abwicklungsbeschlusses mitzuteilen. Danach beließen sie es für elf Monate bei diesem Schwebezustand.
Klarheit besteht jetzt auch darüber, was aus den Musikstudios im Londoner Stadtteil Maida Vale wird, in denen die BBC Singers untergebracht sind. Dieser Komplex wird voraussichtlich Ende 2025 durch einen Neubau ersetzt.
Inzwischen haben die neuen Eigentümer um den Komponisten Hans Zimmer erklärt, die Studios weiter ihrem Zweck entsprechend nutzen zu wollen. Über längere Zeit war deren Eliminierung durch zahlungskräftige Investoren befürchtet worden.
Beitrag von Kai Ludwig; Stand vom 18.02.2024