New York - Noch ein Mittelwellenversuch von Family Radio
Eigentlich hatte Family Radio sich im März bereits von der Mittelwelle in New York verabschiedet. Jetzt gibt es doch noch einen weiteren Versuch. Dabei sorgt die Vorgeschichte der genutzten technischen Einrichtungen nicht unbedingt für Enthusiasmus unter Beobachtern.
Gesendet wird auf 1560 kHz seit Oktober von dieser Anlage, die ansonsten mit 5 kW auf 930 kHz verschiedene Sendungen für Einwanderer und mit 10 kW auf 1430 kHz ein katholisches Programm abstrahlt.
Das ließ sich recht kostengünstig umsetzen, da noch Antennenzubehör für die ähnliche Frequenz 1530 kHz vorhanden war. Die dortige Übertragung eines spanischen Missionsprogramms fand 2019 ihr definitives Ende: Diese Lizenz wurde zurückgegeben.
Die Sendeleistung auf 1560 kHz bleibt nicht nur aus technischen, sondern auch aus regulatorischen Gründen auf 10 kW beschränkt. Es handelt sich um einen Ersatzbetrieb ohne vollständige Planung und ohne Berücksichtigung der für den Regelbetrieb mit 50 kW geltenden Richtauflagen.
Eine dauerhafte Beibehaltung der jetzigen Konfiguration würde, wie schon in zwei anderen Fällen geschehen, zur Herabstufung der Frequenz aus der höchsten, einst als „clear channel“ bezeichneten (daher der frühere Name des heutigen Medienunternehmens iHeart) Klasse führen. Deren zentrales Merkmal ist ein Schutz gegen Störungen durch andere Sender im Umkreis von 1200 Kilometer.
Bis Anfang März lief ein Ersatzbetrieb auf 1560 kHz von der unten beschriebenen, neun Kilometer vom jetzigen Standort entfernten UKW-Anlage. In der Mitteilung von dessen Einstellung wegen „unüberwindbarer technischer Schwierigkeiten“ hatte Family Radio schon keine nochmalige Aufschaltung mehr versprochen.
Stand vom 03.11.2024
Geschaffen wurde das 1959 gestartete Family Radio von Harold Camping, einem Bauunternehmer. In einer Lagerhalle seiner Firma in Oakland bei San Francisco entstand die über Jahrzehnte genutzte Zentrale des Senders.
Den Einstieg auch in den internationalen Rundfunk brachte 1973 die Übernahme der Sendestation von Radio New York Worldwide, das sich wirtschaftlich nicht mehr halten konnte. Da am bestehenden Standort (Scituate bei Boston) keine Erweiterung möglich war, wurden die Anlagen bis 1979 nach Florida umgesetzt.
Im Namen Family Radio zum Ausdruck kommt die Absicht, „das Evangelium in Familien hineinzubringen“. Diese Idee einer sich um das Radio scharenden Familie, und das für Übersee-Empfang in bestenfalls mäßiger Qualität, bewertete schon das 1994 erschienene Buch „Christliche Rundfunksender weltweit“ von Hansjörg Biener als Anachronismus.
Bei der Empfangsqualität tat Family Radio dann auch etwas. 2001 begannen Ausstrahlungen über Kurzwellensender in Deutschland, England und postsowjetischen Ländern. Hinzu kamen Übertragungen auf der Hotbird-Satellitenplattform.
Nichts geändert wurde an der inhaltlichen Gestaltung, die jede Chance vergab, das Interesse nicht-fundamentalistischer Christen oder gar von Nichtchristen zu finden. Große Teile der Sendezeit füllten Bibellesungen und die extrem konservativen, altprotestantischer Orthodoxie (Erklärung hier) entsprechenden Auslegungen des Sendergründers.
Ausgangs der 80er Jahre versank Harold Camping immer tiefer in der Endzeiterwartung und erklärte 1992, aus der Bibel sei ein Weltuntergang im Jahre 1994 herauszulesen. Damit brachte er sich um Respekt und die Zusammenarbeit mit anderen Missionswerken.
In Europa werden solche Deutungen von evangelischer wie katholischer Seite von vornherein abgelehnt. Selbst ausgesprochene Endzeitstimmen in den USA gehen da nicht mit. Trotzdem war sich Camping bei seinem nächsten Ergebnis sehr sicher: Der 21. Mai 2011!
Und so begann Family Radio einen massiven Ausbau der internationalen Programme, über den überhaupt noch beherrschbaren Umfang hinaus: Bei der Produktion der Sendungen wurden öfters Segmente in falschen Sprachen hineinmontiert.
Auf der Kurzwellen-Großstation Wertachtal bei Buchloe löste Family Radio die Deutsche Welle fast nahtlos ab und belegte ab 2007 zeitweise bis zu neun Sender zugleich. Ohne diese umfangreichen Buchungen wäre die Anlage wohl nicht mehr bis 2013 in Betrieb geblieben.
Es ist nicht bekannt, was sich an jenem 21. Mai 2011 im Funkhaus von Family Radio abgespielt hat. Man sendete jedenfalls nur noch Evangeliumslieder, bis Harold Camping nach zwei Tagen eine Lösung präsentierte: Es handele sich um ein „zweistufiges Verfahren“ und die eigentliche Zerstörung der Welt folge fünf Monate später.
Nachdem auch das nicht eintrat, soll Camping intern die Unsinnigkeit seiner Vorhersagen eingeräumt haben. Die Technikabteilung von Family Radio gab ihn schon vor dem 21. Oktober regelrecht der Lächerlichkeit preis, indem sie einen Sendeplan mit Gültigkeit bis 25. März 2012 vorlegte.
Außenstehende sahen das nicht so locker, denn Camping und seine Gefolgschaft hatten Existenzen zerstört. Gravierendere Folgen gab es unter anderem in Vietnam. Aus den USA gemeldet wurde der Versuch einer Mutter, ihre beiden Kinder zu töten. Trotzdem verhallten Forderungen, die Sendelizenzen einzuziehen, ungehört.
Family Radio selbst interessierte nur der zu erwartende Bruch seiner Opfer mit dem christlichen Glauben. Ein Mitarbeiter verstieg sich zu der Aussage, „keiner von uns bedauert irgendetwas“.
Entsprechend bedauerte auch niemand die Belegschaft des Senders, die schon bald die Folgen zu spüren bekam, denn Family Radio stürzte wirtschaftlich ins Bodenlose. Schon im Juni 2011 verschwanden unter anderem die Sendungen in deutscher Sprache, die es seit 1974 gegeben hatte. Zugleich beendete Family Radio alle Ausstrahlungen aus dem Wertachtal.
Ende 2012 entfielen die letzten bis dahin verbliebenen Sendungen über externe Kurzwellenanlagen. Die eigene Station bei Okeechobee in Florida wurde am 30. Juni 2013 abgeschaltet und an Radio Miami International verschenkt (ein „Verkauf“ war das nur insofern, als der neue Betreiber als Gegenleistung noch zwei Stunden Sendezeit pro Tag bereitstellt).
Darüber hinaus blieb Family Radio nichts anderes, als seine UKW-Großfrequenzen in New York, Washington und Philadelphia zu Geld zu machen. Da den Käufern natürlich bekannt war, es mit einem Notverkauf zu tun zu haben, blieben die Erlöse mit 40, 8,5 bzw. 22,5 Millionen Dollar deutlich unter dem, was der Markt sonst hergegeben hätte.
Zunächst sendete Family Radio weiterhin Aufzeichnungen von Harold Camping, der sich nach seinem Eingeständnis zurückgezogen hatte und Ende 2013 verstarb. Dabei tat man so, als wäre nichts gewesen, und verwendete nur Beiträge, in denen keine Rede von Weltuntergangs-Terminen war.
Das endete erst 2018, als sich die regelmäßigen Zurückweisungen durch potentielle Partner nicht mehr verdrängen ließen. Der Bruch mit Harold Camping kam jedoch zu spät, um Family Radio noch einmal aus der Nische herauszuführen. Bei Missionssendungen auf UKW ist es inzwischen von der Educational Media Foundation abgehängt worden.
Sein deutschsprachiges Internetangebot pflegte Family Radio noch bis 2014. Danach blieb es eingefroren und wurde 2019 auf eine Sammlung der über die Jahre aufgezeichneten Bibellesungen zusammengestrichen. Inzwischen ist auch dieser Rest gelöscht, wohl im Zusammenhang mit einem Umzug aus dem zu teuer gewordenen Raum San Francisco nach Tennessee.
Die jetzt abgeschaltete Mittelwelle 1560 kHz in New York hatte von 1936 bis 1992 das Klassikprogramm WQXR übertragen. Nach einer Zwischenphase kam sie 1998 zu Disney, das sich seinerzeit eine landesweite Hörfunkkette zusammenkaufte. An den meisten Orten konnte man nur Mittelwellen ergattern, obwohl Radio Disney auf Kinder und Jugendliche zielte.
2014 entschied Disney, die terrestrischen Frequenzen, auf die nur noch 18 Prozent der Hörerbeteiligung entfielen, aufzugeben. Das erwies sich als Anfang vom Ende: Im Zuge einer Massenentlassung wurde Radio Disney 2021 eingestellt.
Die Mittelwelle in New York verkaufte Disney für 13 Millionen Dollar an Family Radio, das damit ab 2015 wieder in der ganzen Region terrestrisch gehört werden konnte. Der eigentliche Glücksgriff, der Family Radio hier gelang, war jedoch finanzieller Art.
Denn binnen kurzer Zeit war das Grundstück der Sendeanlage, an der Grenze zwischen Brooklyn und Queens, für die Betreiber der umliegenden Auslieferungslager sehr interessant geworden. Somit konnte Family Radio einen Verkaufspreis von 51 Millionen Dollar erzielen.
Dafür nahm man in Kauf, Anfang 2021 die Anlage abzuschalten und unmittelbar danach zu demontieren, ohne schon Ersatz parat zu haben. Die zuletzt gesendeten Hinweise konnten nur formulieren, man arbeite intensiv an einer Lösung.
Diese fand sich nach fast einem Jahr mit dem Kauf einer neuen UKW-Frequenz. Parallel besaß Family Radio noch immer seine New Yorker UKW-Station, denn der Notverkauf von 2013 erstreckte sich nur auf die Rechte zur Nutzung der Frequenz.
Somit wurde an diesem Standort eine sehr unscheinbare Schrägdrahtantenne montiert, darüber die Mittelwelle 1560 kHz nach einem Dreivierteljahr noch einmal in Betrieb genommen und auf bis zu 10 kW hochgefahren. Das überstarke Sendesignal im Nahfeld störte jedoch elektronische Geräte in einer unmittelbar benachbarten Schule.
Auch eine Absenkung der Leistung auf 500 Watt brachte keine wirksame Abhilfe, machte eine Fortsetzung des Betriebs jedoch weitgehend sinnlos: Mit der wenig effektiven Antenne und der hohen Frequenz sank die Reichweite in den unteren einstelligen Kilometerbereich.
Inzwischen ist die UKW-Frequenz 94,7 MHz an einen anderen Standort umgezogen. Offenbar hat sich Family Radio damit entschlossen, auch dieses Objekt aufzugeben. Die dortigen Studio- und Büroräume sind unter den heutigen Gegebenheiten entbehrlich.
Parallel geriet die Frequenz selbst in die Schlagzeilen, nachdem der Versuch des ursprünglich als Entercom firmierenden Betreibers, das dort ausgestrahlte Country-Programm mit der Einführung einer modernen Marke wieder nach vorn zu bringen, keinen Erfolg hatte.
Der Marktanteil blieb auch zwei Jahre später bei 1,9 Prozent. Das inzwischen in Audacy umbenannte Unternehmen sah 2021 keine Chancen mehr, mit diesem Musikformat noch nachwachsende Hörerschichten zu erreichen.
Es wurde deshalb als moderiertes Programm eingestellt, in für die USA ungewöhnlicher Weise mit einer Abschiedssendung. Ersatz ist ein neues Konzept mit Musiktiteln aus der Zeit vor zwei Jahrzehnten, das ein mit New Yorks Hiphop-Kultur aufgewachsenes Publikum erreichen soll.
Keine Zukunft mehr sieht Audacy auch für das Alternative-Format. 2022 entfiel es als moderiertes UKW-Programm in New York somit ebenfalls. Die Bekanntmachung schien von spontanen Emotionen geprägt zu sein, war nach Meinung von Kennern aber mit Sicherheit aufgezeichnet.
Es ist wiederum ein Zeichen der Zeit, wovon „Alt 92.3“ abgelöst wurde: Einer Parallelausstrahlung des Mittelwellen-Flaggschiffs WINS.
Inzwischen ist Audacy insolvent und im Begriff, von seinen Gläubigern übernommen zu werden. Ein Detail ließ bereits politische Diskussionen der in den USA bekannten Ausprägung hochkochen: 415 Millionen Dollar an Schulden und damit Anteile an Audacy übernimmt George Soros.
Auch in Indianapolis ist 2021 die Sendestation einer Großmittelwelle (wenn auch in diesem Fall ohne exklusive Raumwellen-Nachtversorgung) zu Geld gemacht worden. Hier überraschte die in Berichten durchscheinende Überraschung, denn das Objekt war schon längere Zeit als „zu verkaufen“ beschildert.
Das betroffene Sportprogramm läuft nach der Abschaltung des Senders (die letzten Sekunden blieben einer Reminiszenz an alte Zeiten vorbehalten; die Demontage der Anlage begann bereits am nächsten Morgen) hauptsächlich noch über zwei UKW-Kleinfrequenzen mit jeweils 300 Watt. Dennoch gab es keinerlei Rückgang bei den Hörerzahlen.
Für die Mittelwelle wurde später noch ein Provisorium auf dem Dach des Studiogebäudes eingerichtet. Das war jedoch ein reiner Alibisender, der lediglich das automatische Erlöschen der Lizenz verhindern sollte.
Nach jüngsten Meldungen ist jetzt auch dieses schwache Signal verschwunden. Das ist wiederum keine Überraschung, da das Betreiberunternehmen Emmis seine gesamten Radioaktivitäten in Indianapolis verkauft hat.
2022 meldete sich ein Radiounternehmer, der die Mittelwelle 1070 kHz nutzen und dafür eine neue Sendeanlage errichten wollte. Er trat allerdings weder an Emmis heran, um die Lizenz zu übernehmen, noch gab es irgendwelche Aussagen darüber, wie diese Investition in siebenstelliger Höhe finanziert werden sollte.
Dennoch empfanden einige Rundfunkfreunde es als kalte Dusche, mit welcher Begründung eine Baugenehmigung von vornherein abgelehnt wurde: Die Mittelwelle sei, wie allgemein bekannt, „ein Dinosaurier“. Der Antragsteller habe „keinen anderen Bedarf als seine persönlichen Wünsche“ nachweisen können.
Idealistische Vorstellungen, auch in der Branche selbst, kommentierte ein langjähriger Rundfunkmitarbeiter gerade mit dieser Bemerkung:
„Nostalgia is a powerful drug, and it can be weaponized.“
Beitrag von Kai Ludwig