Wilhelminenhofstraße - Die Straße der Besten
Zu DDR-Zeiten war die Wilhelminenhofstraße das Zuhause tausender Arbeiter und Angestellter, die hier wohnten und in einem der Großbetriebe beschäftigt waren. Nach der Wende gingen im Kabelwerk Oberspree (KWO), im Transformatorenwerk (TRO) und im Werk für Fernsehelektronik (WF) ziemlich schnell die Lichter aus. 25.000 Menschen verloren ihre Jobs. Mit dem Umzug der Hochschule für Technik und Wirtschaft kamen dann immer mehr Studenten in die Gegend und damit auch neue Cafés und kleine Läden. Wer wohnt und arbeitet heute in der Wilhelminenhofstraße? Ein paar Gesichter können Sie hier genauer kennenlernen...
Jutta und Jörg Langelüttich, Betreiber der Espressobar LALÜ
Jörg Langelüttich kennt die Wilhelminenhofstraße seit 40 über Jahren, denn Mitte der Siebziger hat er im damaligen Kabelwerk Oberspree gelernt. Nachdem er und seine Frau Jutta viele Jahre im Filmgeschäft tätig waren, beschlossen die beiden vor elf Jahren ein kleines Café zu eröffnen – in der damals noch recht trist wirkenden Wilhelminenhofstraße.
Direkt am Rathenauplatz gelegen und gegenüber vom Campus-Haupteingang der HTW ist die „Espressobar“ Lalü heute der Netzwerkknotenpunkt im Kiez. Hier treffen Alteingesessene auf Künstler, Professoren und Studenten. Viele nennen das LALÜ mittlerweile das „Wohnzimmer von Oberschöneweide“.
Ein Ort, der perfekt ist für den leckeren Espresso zwischendurch, viel mehr aber zum Verweilen einlädt. Neben Frühstück, Mittagstisch oder selbst gebackenem Kuchen – Jutta ist gelernte Köchin – gibt es im LALÜ auch Ausstellungen, Lesungen und regelmäßige Filmabende.
Jörg und Jutta Langelüttich erfüllen sich mit dem LALÜ einen langgehegten Traum – ein Café mit Kulturbetrieb in einem außergewöhnlichen Kiez. Das Ehepaar Langelüttich hat in den letzten Jahren den Wandel der Wilhelminenhofstraße hautnah miterlebt – heute prägen viele Studenten und auch junge Familien die Straße, die Stimmung sei fröhlicher und ausgelassener geworden, so Jörg Langelüttich, den in der Wilhelminenhofstraße alle nur Lalü nennen. Er findet allerdings auch, dass es hier von Seiten der Stadtplanung noch viel zu tun gibt.
„Die leeren Fabriken sind noch da, das älteste Drehstromkraftwerk der Welt verfällt und wir sehen zu, wie im Rathaus überlegt wird, ob man darüber nachdenkt darüber nachzudenken zu protestieren.“ Lalü vermisst die klaren Visionen. Die Wilhelminenhofstraße bietet die Chance, vieles besser zu machen und „eine funktionierende, sozial lebendige, attraktive Straße entstehen zu lassen.“ Und vieles in diesem Viertel funktioniere auch schon: Oberschöneweide sei wie eine kleine Insel, meint Lalü und durch diese Insel führt die Wilhelminenhofstraße.
Die Leute kennen sich untereinander und es existiere hier ein Neben- und auch Miteinander von alten Menschen, Obdachlosen, Studenten, Dozenten und Familien. Es ist alles da! Das, was nicht passieren darf: „dass wir den Spekulanten, denen mittlerweile die ganze Industriebrache gehört, die Entscheidungen überlassen.“
Mehr dazu:
https://de-de.facebook.com/laluelalue/
http://megaschoeneweide.de/cafe-lalue-das-wohnzimmer-von-schoeneweide/
Leo Königsberg
Einer der am längsten in der Wilhelminenhofstraße ansässigen Künstler und Gründer des Kunsthauses Factory-Berlin ist Leo Königsberg. 1999 wollte er in Oberschöneweide einen Ort schaffen, an dem Kunst produziert, Ausstellungen gemacht, Konzerte und Theater veranstaltet werden. In der Factory kamen Künstler aus der ganzen Welt zusammen.
„Gib der Kunst Raum, dann wird sich die Schönheit ihrer Seele in Freiheit erfüllen“ – diesen Spruch schrieb der Künstler Leo Königsberg schon vor Jahren an die Wand der Reinbeckhallen. Bleibt zu hoffen, dass sein Motto von denen beherzigt wird, die über die Zukunft der Gegend entscheiden werden. Zuletzt engagierte sich Königsberg dafür, dass das ehemalige Laborgebäude des Batteriewerks BAE von der Stadt zum Atelierhaus umgebaut wird.
Mehr dazu:
http://www.leokoenigsberg.com/about-1/ausstellungen/
Sven Herrmann – „Der Herr der Reinbeckhallen“
Der Anwalt und Immobilienkaufmann ist jenseits der Spree in Niederschöneweide aufgewachsen und wollte eigentlich immer weg. Doch 2005 kaufte er die Hallen des früheren Transformatorenwerks Oberspree und plante sein großes Projekt „Schauhallen“: Vier Museen, 16 Galerien und zwei internationale, private Kunstsammlungen sollten hier unterkommen. Im Zuge dieser Planungen ließ Berlin eine Fußgängerbrücke über die Spree bauen, einen Schiffsanleger mit Bootssteg und einen Stadtplatz, der in eine Allee mit einer historischen Kranbahn mündet. Ein Ort, der zum Bleiben einlädt und z.B. von den Studenten der HTW gern genutzt wird.
Das Projekt „Schauhallen“ scheiterte allerdings aus verschiedensten Gründen, doch Herrmann sanierte die Reinbeckhallen trotzdem. Inzwischen haben hier international berühmte Künstler wie Ólafur Elíasson und Jorinde Voigt ihre Ateliers.
Sven Herrmanns Rolle ist umstritten: Die einen sehen in ihm einen der wichtigsten Akteure, die aus Oberschöneweide einen Ort der Kunst, Kultur und Kreativität gemacht haben. Andere misstrauen seiner Vergangenheit als hoher Funktionär der DDR-Jugendorganisation FDJ und Auslandsagent der Stasi – eine Vergangenheit, zu der sich Herrmann offen bekennt.
Susanne de Roos
Susanne de Roos betreibt ein Upcycling-Atelier in der Marienstr. 1a und organisiert seit Anfang 2018 die „Marktschwärmerei“ - ein Netzwerk aus Frankreich, das die Produzenten von regionalen und nachhaltig hergestellten Produkten mit dem Verbraucher direkt, ohne Zwischenhändler verbindet. Fast alles läuft dabei online: Die Kunden registrieren sich bei www.marktschwaermer.de. Dort bestellen und bezahlen sie alle Produkte, die sie haben wollen. Einmal pro Woche dann werden diese Waren von den Herstellern direkt an den Verbraucher übergeben – an bestimmten Orten, die auf der Homepage verzeichnet sind.
Dazu gehört auch das Atelier von Susanne de Roos, wo immer mittwochs von 17.30 bis 19.00 Uhr Anbieter und Verbraucher zusammenkommen, bei schönem Wetter auch auf dem Hof, der von der Wilhelminenhofstraße 88a ebenfalls erreichbar ist. In Berlin gibt inzwischen 13 solcher „Marktschwärmereien“.
Thomas Niemeyer
Leiter des Regionalmanagements Schöneweide und Initiator des „Masterplans Kunst“, für den sich der Bezirk Treptow-Köpenick demnächst die tatkräftige Unterstützung von Kultursenator Lederer sichern will. Ziel ist es, Ateliers und Ausstellungsräume zu erschließen und bei steigendem Gentrifizierungsdruck langfristig für Kultur und Kreativwirtschaft zu sichern.
Lutz Längert
Der Soziologe arbeitet seit vielen Jahren in Schöneweide, zuerst im Kiezbüro und danach als wichtiger Netzwerker der Künstlergemeinde im Stadtteil. Längert hat das Schöneweider Kunstfestival „Kunst am Spreeknie“ entwickelt und über 7 Jahre organisiert. Er weiß also bestens über die Künstler und die Kunstszene im Kiez in der Wilhelminenhofstr Bescheid.
Delia Fröhlich
Die Absolventin der HTW aus dem Gestaltungsfachbereich war eine der ersten Studentinnen nach dem Umzug der Hochschule nach Schöneweide, die dort studierte. Nach dem Abschluss ihres Studiums hat sie in der Wilhelminenhofstraße eine kleine ehemalige Weißbierbrauerei vom Bezirk gemietet und mit Mitstudenten den Coworkingspace " Das Bett " geschaffen: „Ein Ort für kreatives Arbeiten, für Austausch und Zusammenarbeit. Ein Ort, um voneinander zu lernen und miteinander zu arbeiten.“
Mehr dazu:
http://bett-designkomparative.de/
Gerhard Stahl
Der fast 90-jährige Architekt hat seine Laufbahn im Büro von Hermann Henselmann begonnen, ist dann aber für längere Zeit nach Karlsruhe gegangen. Dieser wirklich humorvolle Mann hat vor Jahren eine Idee zu Papier gebracht und im Rathaus vorgestellt, wie man die Wilhelminenhofstraße zu einer schönen Straße umbauen könnte. Er ist natürlich gescheitert, was ihn aber nicht stört oder verwundert oder vom Diskutieren über eine sinnvolle Umgestaltung von Oberschöneweide abhält...
Friedrich & Wiesenhütter
Matthias Wiesenhütter und Dirk Friedrich aus Oberschöneweide bezeichnen sich selbst als Alltagspoeten und erzählen Geschichten über ihren Kiez. 2012 lernten sie sich bei Studioaufnahmen kennen und touren seitdem als „Friedrich & Wiesenhütter“ durch die Republik. In der Wilhelminenhofstraße ist das Duo heute auch immer noch oft unterwegs, denn Erinnerungen an alte Zeiten gibt es viele...
Mehr dazu:
http://www.friedrich-wiesenhuetter.de/
Emil Rathenau (1838–1915)
Als der deutsch-jüdische Unternehmer Emil Rathenau vor über 100 Jahren nach neuen Produktionsflächen für seinen Elektrokonzern AEG sucht, entdeckt er die noch unbebauten Spreewiesen im Südosten Berlins. Er verlagert den Standort nach Oberschöneweide und dieser Entscheidung ist es zu verdanken, dass hier einer der wichtigsten Motoren für die Industrialisierung weltweit entstand.
Emil Rathenau wird der Wegbereiter Berlins zur ›Elektropolis‹. Die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG) entwickelt sich unter seiner Führung zu einem Weltkonzern mit großer Produktpalette. Emil Rathenau hat Oberschöneweide wie kein Anderer geprägt. Die Familie ist in Sichtweite des Kabelwerks - auf dem Waldfriedhof in der Wuhlheide begraben.
Quelle:
http://industriesalon.de/50-startseite/beitraege/429-100-todestag-von-emil-rathenau