Schöner Lesen - "Am Boden" von Marc Lunghuß
Die Buchhändler-Empfehlung am heutigen Montag ist: "Am Boden" von Marc Lunghuß.
Ob als Schlinge oder Velours, aus Baumwolle, Flachs, Viskose oder Polyester. Sein Vater hatte sie alle, er kannte sie alle. Sein Job als Handelsvertreter für Teppichboden war sein Leben. Nun ist er gestorben und für seinen Sohn beginnt eine Zeit der Rückbesinnung. Auf seine Kindheit, die Beziehung zu seinem Vater und sein eigenes Leben. Und das alles im alten Citroen des Vaters. Wie das genau aussieht und ob es funktionieren kann, wenn Bodenbeläge eine Romanhauptrolle bekommen, weiß unsere fußwarme Expertin für gute Bücher, Eleni Efthimiou aus dem "Leseglück" in Berlin-Kreuzberg. Sie hat "Am Boden" von Marc Lunghuß gelesen.
Inhalt
Der Roman verknüpft eine Familiengeschichte mit der Geschichte eines einst beliebten – jetzt verpönten – Bodenbelags: -> Der Teppichboden: Symbol für Wärme, Weichheit, Geborgenheit. Ab den fünfziger Jahren Siegeszug des zugeschnittenen und von Wand zu Wand verlegten Teppichbelags, Inbegriff westdeutscher Wohnlichkeit. In den Neunzigern dann der Niedergang. Teppichboden gilt fortan als Milbennest und Dreckschleuder. Die Familiengeschichte: Eine Kleinfamilie westdeutschen Durchschnitts. Mutter Hausfrau, Vater Teppichvertreter, die Kinder erwachsen und aus dem Haus. Dann der freie Fall: Der Vater verstirbt. Der Roman spielt in den sechs Tagen, die zwischen Tod und Beerdigung liegen. Ohnmacht, Abwehr, schon immer schwelende Konflikte. Der Zustand: bodenlos. "Ein schönes Heimbewahrt das Glück" (Karstadt-Teppichwerbung 1953) IM CITROEN AUF DER FLUCHT ZUM VATER. Der Sohn irrt im Citroen seines Vaters auf den Straßen Niedersachsens herum. Der Vater ist eben erst verstorben, der Sohn ist auf der Flucht. Aber nicht vor der Polizei oder vor einer unerwünschten Erbschaft – sondern vor der eigenen Trauer. Sein Leben lang hat der Sohn den Vater für das freundliche Wesen und die weiche Teppichware verachtet, mit denen dieser hausieren ging. Hielt ihn deshalb für einen Verlierer, der in einer rücksichtslosen Gesellschaft das perfekte Opfer abgab. Doch mit jedem Kilometer seiner scheinbar ziellosen Fahrt kommt der Sohn dem Vater näher, und Verachtung entpuppt sich als tief empfundene Liebe.
Autor*in
Geboren 1974 in Gehrden. Studium der Philosophie und Germanistik in Heidelberg und Berlin. Als Regisseur Theaterinszenierungen in Frankfurt/Main, Leipzig, Bochum, Stuttgart u.a.; als Autor Veröffentlichungen von Kurzprosa und Erzählungen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Diverse Stipendien, unter anderem Autorenwerkstatt am Literarischen Colloquium Berlin und Alfred-Döblin-Stipendium.