Radiopropaganda in Äthiopien - Ein Gespräch mit der „Stimme der Fano“
Kaum noch beschaffen lassen sich Informationen darüber, wie der anhaltende Bürgerkrieg in Äthiopien auch im Kurzwellenradio geführt wird. Der British DX Club fand gerade auf Youtube ein Gespräch, das von Südafrika aus mit einem Mitwirkenden solcher Sendungen geführt wurde: Der „Stimme der Fano“.
Die Fano ist eine Amharenmiliz, die sich nach dem Ende des Tigraykriegs gegen die Zentralregierung gewendet hat. Der Begriff geht auf Widerstandskämpfer gegen die italienische Besetzung Äthiopiens ab 1935 zurück.
In dem Gespräch mit dem Mitwirkenden der Fano-Sendungen betont dieser den „anhaltenden Völkermord an den Amharen“. Sie seien die ursprünglichen Bewohner von Äthiopien. Bei den anderen Volksgruppen handele es sich lediglich um Migranten.
Mit Antritt einer Zentralregierung der Tigray-Befreiungsfront TPLF im Jahre 1991 seien Amharen „attackiert und marginalisiert“ worden. Der heutige Premierminister Abiy aus dem Volk der Oromo seinerseits habe 2018 „einen systematischen Krieg“ gegen die Amharen begonnen und im vergangenen Jahr zu „einem vollen Genozid“ ausgeweitet.
In der Region Amhara würden „jeden Tag mehr Menschen sterben als in Palästina“. Dabei werde „das Regime“ hauptsächlich von Staaten des Nahen Ostens unterstützt.
Der Gesprächspartner beschuldigt BBC, Voice of America und Deutsche Welle, sie würden das Thema ignorieren, um keine Erinnerungen an Italiens Äthiopienkrieg zu wecken.
Mit den Hörfunksendungen habe man im Januar begonnen. Bis jetzt würden sie nicht gestört. Man rechne aber damit und habe die Ausstrahlung aus Frankreich deshalb von vornherein mit der sehr hohen Sendeleistung von 500 kW bestellt.
Derzeit sende man am Mittwoch und am Sonnabend jeweils von 19.00 bis 20.15 Uhr MESZ auf 15215 kHz. Eine Erweiterung der Programme sei geplant.
Mit seinen schweren Vorwürfen steht der Gesprächspartner nicht allein da. Auch zum Vorgehen der äthiopischen Armee gegen die Zivilbevölkerung in Amhara gibt es weitere Wortmeldungen.
Vorerst nicht beantwortet werden kann, ob die „Stimme der Fano“ in einem Zusammenhang mit dem 2022 aufgetauchten (siehe Mitschnitt mit unzutreffender Sprachangabe) „Amharic Radio International“ steht.
Zu diesen Sendungen gibt es einen Youtube-Kanal, in dem seit Herbst 2022 kein weiteres Material mehr erschien. Auch eine Weiterführung der Hörfunksendungen aus Frankreich ist aktuell nicht bekannt.
Offensichtlich vorbei ist es mit einem „1188 Radio“, das ab Mai 2023 mit dem Slogan „ein Amhara für alle Amharen“ in den USA produziert und ebenfalls über die Kurzwellenanlagen des französischen Sendernetzbetreibers TDF abgestrahlt wurde. Die Sendungen verschwanden vor einigen Monaten, die Internetadresse 1888radio.org ist gelöscht.
Weiterhin aktiv – auch wenn der Internetauftritt nicht danach aussieht – ist eine „Moresh Wegenie Amara Organization“ mit ihrem „Amara Dimts Radio“, wiederum produziert in den USA und abgestrahlt mit 500 kW aus Frankreich.
Nach Planungsdaten, die das Medienmagazin einsehen konnte, ist von den vier wöchentlichen Sendungen des Jahres 2023 jetzt allerdings nur noch eine übrig: Sonnabends von 18.00 bis 18.30 Uhr auf 15710 kHz.
Rege Sendeaktivitäten entwickeln auch Oromo im Exil.
Ein weiteres Mal in den USA produziert und aus Frankreich abgestrahlt werden dürfte „Raadiyoonii Dirree Shaggar“. Zwar ist der Internetauftritt oromiapublicmedia.com seit dem zweiten Halbjahr 2023 abgeschaltet, aber die Planungsdaten verzeichnen noch immer Ausstrahlungen am Montag, Mittwoch und Freitag jeweils von 18.00 bis 18.30 Uhr auf 17575 kHz.
Von „Dirree Shaggar“ existieren anschauliche Mitschnitte der bereits erwähnten Störsendungen. Das ist zum einen (hier ab 1'07) ein grobschlächtiges lautes Rauschen. Es gibt aber auch eine unverfängliche Alternative, nämlich Geräusche, die arglose Rundfunkhörer für natürliche Störungen halten sollen.
Zum Zeitpunkt der Recherchen für diese Seite ausgefallen, aber wohl nicht final aufgegeben war die Internetadresse onm-abo.org von „Arraata Biyyolessa Oromiya“.
Die Sendungen sollen weiterhin über die Kurzwellenstation Galbeni in Rumänien kommen, und zwar außer donnerstags und sonnabends von 17.00 bis 17.30 Uhr. Dafür verzeichnet ist derzeit die Frequenz 15425 kHz.
Dabei gibt es – oder gab es zumindest 2023 – einen Trick, dem die Störsendung aus Äthiopien tatsächlich nicht zu folgen vermag: Nach einigen Minuten auf eine andere, benachbarte Frequenz (zum Beispiel 20 Kilohertz entfernt) umzuschalten.
Aus Nauen kommt schließlich der Klassiker, den es nicht seit Monaten, sondern seit fast vier Jahrzehnten gibt: Sagalee Bilisumma Oromoo. Veranstalter dieser Sendungen ist die 1973 gegründete Oromo-Befreiungsfront SBO. Sie ist inzwischen von anderen Akteuren an den Rand gedrängt worden.
Angefangen hatte man 1988 beim Rundfunk des Sudan, der jedoch 1992 die in klassischer Geheimsendermanier abgewickelten Ausstrahlungen beendete. Zur Wiederaufnahme kam es 1995, als die von der Deutschen Welle aufgegebenen Sender bei Jülich zur freizügigen Nutzung geöffnet wurden.
Anlaufpunkt für diese Sendungen war über längere Zeit das „Oromo Horn von Afrika Zentrum“ in Berlin. Es existiert nicht mehr, nachdem der Senat dessen Finanzierung 2020 eingestellt hat.
Dokumenten über dieses Thema sind keine Angaben von Gründen zu entnehmen. Somit ist unklar, ob es sich um eine politische Entscheidung handelte, wie Ende 2023 beim Kulturzentrum Oyoun.
Die Radiosendungen blieben davon unberührt und laufen weiter nach dem vor Jahren etablierten Schema: Jeweils am Mittwoch, Freitag und Sonntag von 19.00 bis 19.30 Uhr auf 15420 kHz, außerhalb der Sommerzeit eine Stunde früher und auf 9610 kHz.
Still geworden ist es um Tigray. Dort endete zwar der Krieg, nicht aber die von der Abiy-Regierung gezielt herbeigeführte Hungersnot.
Besondere Kurzwellensendungen in diese Region gibt es nicht mehr, seit die Ausstrahlungen der „Dimtse Woyane Tigray“ Ende 2022 entfallen sind. Ganz vorbei ist es wohl mit einem Projekt in Kenia, das als „Axumite“ gesendet hatte. Die später genutzte Internetadresse Yabelemedia.com ist jetzt ebenfalls gelöscht.
In ihren eigenen Worten haben die Mitwirkenden dieses Projekts „persönliche Horrorgeschichten durchgemacht“, sind „Inhaftierung und Bestrafung entgangen“. Unter solchen Umständen fallen Kommentierungen nicht unbedingt differenziert aus.
So schrieb man 2021, das Nobelkomitee habe sich als „außerhalb des Bereichs der Menschlichkeit“ stehender Unterstützer von Kriegsverbrechern offenbart. Das bezog sich natürlich auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an Abiy Ahmed.
Beitrag von Kai Ludwig; Stand vom 07.07.2024