Die Literaturagenten - Interview mit Rufi Thorpe zu "Only Margo"

"Only Margo" von Rufi Thorpe © Ecco
Ecco
"Only Margo" von Rufi Thorpe | © Ecco Download (mp3, 22 MB)

"Du könntest überall hingehen, du könntest alles machen. Wirf nicht alles weg, um ein Baby zu bekommen. Glaub mir Margo, nur dieses eine Mal. Ich bin älter als du. Ich habe selbst Kinder. Das ist schwer. Du willst kein Baby." Mit diesen Worten versucht Collegeprofessor Mark seine Studentin Margo von einer Abtreibung zu überzeugen. Die Affäre der beiden dauert nur kurz und doch entscheidet sich die Margo am Ende für das Kind. Als der kleine Bodhi auf der Welt ist, bekommt die 19jährige kaum Unterstützung. Als sie ihren Job als Kellnerin verliert, beginnt Margo Geld über die soziale Plattform OnlyFans zu verdienen, wo sie zwischen den Stilleinheiten erotische Fotos und Videos hochlädt. "Only Margo" - so heißt der Erfolgsroman der amerikanischen Autorin Rufi Thorpe, der als Miniserie mit Michelle Pfeiffer und Nicole Kidman verfilmt wird, und jetzt auf Deutsch erscheint.

Literaturagentin Marie Kaiser hat mit Rufi Thorpe gesprochen - über die Gemeinsamkeiten von Wrestling und Sexarbeit, die Herausforderungen für alleinerziehende Mütter und über Monster, die Weicheier sind.

Marie Kaiser: Eine 19jährige wird schwanger und entscheidet sich entgegen aller Ratschläge dafür, das Kind zu behalten. Ohne das je anzuzweifeln. Sie hört einfach auf ihr Gefühl. Wie würden Sie Ihre Margo jemandem beschreiben, der sie noch nicht kennt?

Rufi Thorpe: Eine der größten Stärken von Margo ist gleichzeitig auch ihre größte Schwäche, nämlich ihre Naivität, die sie dazu bringt, sich immer wieder vom Leben ins Gesicht schlagen zu lassen. Bis sie bekommt, was sie will. Und das ist, mit den Menschen, die sie liebt zusammen zu sein und diese auch zu schützen. Margo ist sehr ausgeglichen. Ich halte sie für einen zutiefst guten Menschen und sie ist gar nicht neurotisch.

Marie Kaiser: Margo ist eine ungewöhnliche Mischung aus Madonna - also Mutter, die die Nächte durch stillt auf der einen Seite und Sexarbeiterin auf der anderen. Was war für Sie an diesem Gegensatz besonders spannend?

Rufi Thorpe:: Die Idee, eine Mischung aus Madonna und Hure ist, hatte ich schon lange. Eine Figur, die sowohl eine wirklich gute Sexarbeiterin ist, aber auch eine wirklich gute Mutter. Ich hatte diese Idee seit sechs oder sieben Jahren und ich dachte: oh, das kann ich nie machen, weil Sexarbeit in den USA so stark stigmatisiert wird. Und das Podest, auf das wir Mütter stellen, ist auch sehr überhöht. Also dachte ich: ich werde das nie schaffen. Und dann begann OnlyFans während der Pandemie zu explodieren, und mir wurde klar, dass die Leute etwas offener über das Thema sprachen, ohne dass es immer gleich ins Moralische kippt. Und ich dachte, das ist meine Chance, eine Figur zu erfinden, die eine Mischung aus Hure und Madonna ist - mit OnlyFans.

Marie Kaiser: Die Story, die sie erzählen, ist ganz schön wild. Alleinerziehende Mutter bringt Familie mit Only Fans Account durch. Aber dann taucht noch der Vater von Margo auf und alles wird noch absurder. Denn der ist ein ehemaliger Wrestling Star, zieht in ihre WG ein und coacht sie mit seinem Wrestlingwissen, damit sie es auf Only Fans schafft ein Star zu werden. Haben Sie sich manchmal selbst gefragt, ob das vielleicht doch eine Spur zu viel, eine Spur zu verrückt ist?

Rufi Thorpe: Ich glaube, alle meine Bücher hören sich auf den ersten Blick nach einer schlechten Idee an. Ich habe eine etwas überdrehte Vorstellungskraft! Aber selbst ich hatte mir Sorgen gemacht, dass das mit dem Wrestling dann doch zu viel werden könnte. Aber nach und nach wurde mir klar, wie gut Wrestling in dieses Buch passt, weil es ja eine Ode an das Unwirkliche, Künstliche und Erfundene werden sollte. Es ist eine Art Liebesgedicht an alles was "fake" ist. Profi-Wrestling ist letztlich nur ein ausgedachter Kampf. OnlyFans ist nur eine Sexfantasie oder die Fantasie einer romantischen Beziehung. Und Wrestling und Sexarbeit haben so viele Gemeinsamkeiten! Margo erschafft auf Only Fans diese neue Identität für sich, diese Figur, die sie "Hungry Ghost" nennt. Genau wie ihr Vater eine Wrestling-Persönlichkeit namens Dr. Jinx für sich erfindet. Ich bin fasziniert von allem, was erfunden ist. Denn genau das mache ich als Schriftstellerin ja auch den ganzen Tag. Ich erfinde unechte Menschen und lasse sie in erfundenen Gebäuden komplett ausgedachte Probleme haben. In der Fiktion liegt eine große Kraft! "Only Margo" ist eine Coming of Age Story, wir begleiten Margo dabei, wie sie erwachsen wird. Es ist aber auch ein Buch darüber, wie Kunst entsteht, dass damit spielt, dass alles nur erfunden ist und Margo zeigt auch nur die Teile von sich, die sie zeigen will.

Marie Kaiser: Sobald klar ist, dass Margo das Kind behält, verschwindet Collegeprofessor Mark erst einmal abrupt aus ihrem Leben. Sie steht allein da. Ohne Geld und Unterstützung und erfährt zufällig von OnlyFans, der Plattform, auf der nur zahlende Abonnenten ab 18 ganz exklusiv die erotischen Bilder und Videos sehen dürfen. Warum wollten Sie einen Roman schreiben, der uns hinter die Kulissen von Only Fans führt?

Rufi Thorpe: Als ich OnlyFans zum ersten Mal sah, dachte ich: Das ist ja ein YouTube für Pornographie. Das ist die Demokratisierung von Porno, weil Frauen hier selbst entscheiden, was sie zeigen, womit sie sich wohlfühlen und mit wem sie zusammenarbeiten. Sie haben die Kontrolle. Und sie bekommen auch einen viel größeren Anteil an den Gewinnen als bei anderen Geschäftsmodellen. ich war wirklich begeistert vom Potenzial, das in Only Fans steckt.

Marie Kaiser: Aber Sie beschreiben ja auch die unangenehmen Seiten von OnlyFans. Margo bekommt bösartige, menschenverachtende Kommentare. Das geht so weit, dass Ihr Männer den Tod wünschen.

Rufi Thorpe: Ich glaube, es gibt da so eine unglückliche Verquickung: Sexarbeit wird als Sünde betrachtet, weil man sich dabei selbst in Gefahr bringt. So als würde man sich selbst nicht genug respektieren, um keine Arbeit zu machen, bei der man getötet werden könnte. Anstatt also Gesetze zu machen die Sexarbeit sicherer machen, wird diesen Frauen gesagt: Du verdienst es, getötet zu werden. Ich denke, dass OnlyFans schon sicherer ist als andere Formen der Sexarbeit. Aber es es ist natürlich nicht ganz ohne Risiko. Ich wollte da kein rosarotes Bild zeichnen. Ich habe viele Memoiren von Sexarbeiterinnen gelesen und mit vielen Frauen gesprochen, die auf OnlyFans sind und der allgemeine Konsens war: Es ist ein beschissener Job, der psychisch sehr herausfordernd ist. Aber es ist auch der beste Job, den sie je hatten. Weil man echtes Geld zu seinen eigenen Bedingungen verdienen kann. Und es ist für viele Frauen einfach die beste Möglichkeit, zu der sie Zugang haben.

Marie Kaiser: Wie haben Sie sich in das System OnlyFans eingearbeitet - wie sah da Ihre Feldrecherche aus?

Rufi Thorpe: Die meisten Leute wollen unbedingt mit Schriftstellern über ihre Arbeit sprechen. Ich habe mal vier Stunden lang kostenlos mit einem Strafverteidiger gesprochen für eine Gerichtsszene. Das war bei den Frauen auf OnlyFans komplett anders. Auf einfache Anfragen haben sie nicht geantwortet. Ich musste mir einen OnlyFans-Account einrichten und Nachrichten mit 50 Dollar Trinkgeld schicken, damit sie überhaupt reagieren Ich zahlte etwa 20 Dollar pro Antwort auf meine Fragen und manchmal lehnten es einfach ab, sie zu beantworten. Ich hatte schon Angst, dass ich bald pleite gehe und mein Mann und ich mussten immer wieder darüber verhandeln wie viel Geld ich jeden Monat für OnlyFans ausgeben durfte. Es war wirklich schwierig, Frauen zu finden, die mit mir über die emotionalen Herausforderungen der Arbeit sprechen wollten. Aber dann habe ich glücklicherweise eine gefunden, die sehr offen war und die bereit war, das Manuskript gegenzulesen, um zu schauen, ob ich ihre Arbeit authentisch beschreibe. Ich bin so dankbar, dass diese Frauen sich die Zeit genommen haben, um mir bei diesem Projekt zu helfen.

Marie Kaiser: Aber wahrscheinlich ist Ihnen bei OnlyFans keine junge Mutter wie Margo begegnet, oder?

Rufi Thorpe: Nein. Aber wissen Sie was? Nachdem der Roman rauskam haben sich viele Sexarbeiterinnen bei mir gemeldet. Einige von ihnen sind junge Mütter, die sagen: „Ich liebe dieses Buch. Und du hast es so gut getroffen!" Also da draußen gib es einige Margos! Ich habe sie getroffen!"

Marie Kaiser: "Only Margo" ist ein feministischer Roman, in dem es um männlichen Machtmissbrauch, die Entwertung von Frauen, die ihren Körper zeigen, die Einsamkeit von alleinerziehenden Müttern. Er ist aber auch sehr lustig und unterhaltsam. Hatten Sie beim Schreiben eine feministische Mission im Hinterkopf?

Rufi Thorpe: Ich wollte unbedingt, dass dieser Roman die Geschichte einer weibliche Selbstermächtigung erzählt. Er sollte zeigen wie aus einem naiven Mädchen eine knallharte Frau wird. Wie schafft sie das? Mir war aber nicht nur wichtig, dass es ein feministisches Buch wird, sondern, dass auch die männlichen Charakter als menschlich dargestellt werden. Mark, der Collegeprofessor von dem Margo schwanger wird, ist weit davon entfernt ein Sexualstraftäter zu sein. Durch "Me too" ist jetzt eins klargestellt: dass es schlimm ist, mit seinen Studentinnen oder Angestellten zu schlafen. Jetzt können wir anfangen über die Grauschattierungen dazwischen zu sprechen - nicht nur über Täter und Opfer. Es zeigt sich an vielen Stellen, dass Margo emotional viel reifer ist als der 20 Jahre ältere Mark. Sie muss die Verantwortung übernehmen für das, was sie beide getan haben - nicht er. Mark ist also kein Monster ist, sondern ein Weichei - ein Schwächling. Ich denke, die meisten Monster sind einfach nur ganz normale alte Weicheier.

Marie Kaiser: Ihr Roman ist in den USA sehr erfolgreich und wird als Miniserie mit Michelle Pfeiffer und Nicole Kidman verfilmt. Wann wird die erscheinen und was erwartet uns?

Rufi Thorpe: Ich hätte mir das alles nie träumen lassen! Und dann sind so viele talentierte Leute dabei wie Nicole Kidman, Michelle Pfeiffer, Elle Fanning und Nick Offerman. Wir fangen bald mit den Dreharbeiten an. Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauert, eine Fernsehserie zu machen und hab mich nicht getraut zu fragen. Also kann ich gar nicht sagen, wann sie erscheint. Aber ich kann sagen, dass ich begeistert bin von der eigenen Bildsprache, die für die Serie entwickelt wird. Es gibt vieles in meinem Roman das visuell sehr spektakulär ist. Wrestling, Sexarbeit und das ganze Cosplay. Die Serie wird visuell ein großer Spaß werden, mit der Bildsprache einer Serie kann ein Roman natürlich gar nicht mithalten...

Marie Kaiser: Vielen Dank für das Gespräch.

Der Roman "Only Margo" von Rufi Thorpe wurde übersetzt von Heike Reissig und ist im Ecco Verlag erschienen. 350 Seiten kosten 18 Euro.

Die Literaturagenten
picture alliance / Frank May

Podcast - Die Literaturagenten

Literaturagenten verdienen gemeinhin damit Geld, weil sie wissen, welche Bücher zu welchen Verlagen passen. Die Literaturagenten auf radioeins wissen, welche Bücher der geneigte radioeins-Hörer liebt, liest und lesen lässt.

Literatur auf radioeins © dpa/Zentralbild
Literatur auf radioeins

Literatur auf radioeins

Unsere Literaturagenten widmen sich jeden Sonntag zwei Stunden lang der Welt der Literatur, in Schöner Lesen erhalten Sie montags Buchempfehlungen von unseren Buchhändler*innen des Vertrauens, in Favorit Buch stellen Ihnen donnerstags unsere Literaturagenten Marie Kaiser, Gesa Ufer und Thomas Böhm eine Neuerscheinung der Woche vor. Bei unseren Schönen Lesungen präsentieren Ihnen Autor*innen ganz exklusiv Ihre neuen Werke. Und all das finden Sie hier zum Nachhören.