Die Literaturagenten - Chemie-Nobelpreisträger Venki Ramakrishnan
Wir erleben eine Revolution in der Biologie: Unsterblichkeit, einst eine schwache Hoffnung, scheint plötzlich greifbar: mittels Wunderdrogen oder neuer Einfriertechniken. Aber funktioniert das wirklich? Der Nobelpreisträger für Chemie Venki Ramakrishnan berichtet in seinem Buch "Warum wir sterben" über die jüngsten Durchbrüche in der wissenschaftlichen Forschung und hinterfragt sie kritisch. radioeins Literaturagent Thomas Böhm sprach mit ihm in der letzten Woche, als er für einen Vortrag in Berlin war und erfuhr dabei, was wirksamer ist als Wundermittel und Gefriermethoden.
Thomas Böhm: Es gibt so viele Bücher, die ich noch lesen möchte und ich hoffe immer auf eine lebensverlängernde Wunderdroge. Nach der Lektüre Ihres Buches gebe ich die Hoffnung auf. Was hat Sie dazu bewogen, ein so desillusionierendes Buch zu schreiben?
Venki Ramakrishnan: Ich würde es nicht als desillusionierend bezeichnen. Ich würde von einer Portion Realismus in einem Bereich sprechen, der extrem gehypt wird. Wenn die Leute also mein Buch lesen, werden sie sehen, dass wir in den letzten 50 Jahren enorme Fortschritte beim Verständnis des Alterns gemacht haben. Und Verstehen ist immer der erste Schritt – in diesem Fall, um unsere Gesundheit im Alter zu verbessern. Dabei geht es größtenteils nicht darum, das Leben zu verlängern, sondern darum, mehr gesunde Lebensjahre zu ermöglichen.
Andererseits bin ich sehr froh, Ihr Buch gelesen zu haben, da ich jetzt kein Geld mehr für irgendwelche Nahrungsergänzungsmittel ausgeben werde. Noch wichtiger und unglaublich faszinierend ist, dass ich jetzt weiß, dass es in jedem Menschen etwas gibt, das nicht stirbt. Die Information darüber, wie eine neue Zelle oder ein ganzer Organismus aufgebaut werden kann. Oder um es unwissenschaftlich auszudrücken, in mir, wie in uns allen, liegt die unsterbliche Geschichte des Lebens, oder?
Das stimmt. Die Körper, in denen wir leben, sterben. Aber Sie müssen bedenken, dass wir direkte Nachkommen einer Lebensform sind, die vor mehreren Milliarden Jahren entstand. Und es gibt eine kontinuierliche, ununterbrochene Kette des Lebens von vor ein paar Milliarden Jahren bis zu uns, die sich bis zu unseren Nachkommen und den Nachkommen aller Lebensformen auf der Erde fortsetzen wird. In diesem Sinne könnte man also sagen, dass das Leben kontinuierlich ist und schon seit sehr langer Zeit existiert, auch wenn die Körper, die dieses Leben bewohnt, kommen und gehen.
Um den Prozess des Alterns zu beschreiben, verwenden Sie ein Zitat von Ernest Hemingway: Ein Mann wird gefragt, wie er bankrott gegangen ist, und er antwortet: "Auf zwei Arten, zuerst langsam, dann plötzlich." Inwieweit lässt sich diese "Insolvenzerklärung" auf das Altern übertragen?
Insolvenz bedeutet einen allmählichen Verlust der Zahlungsfähigkeit. Man fängt an, mehr auszugeben, als man hat. Dann fängt man an, Kredite aufzunehmen, und schon bald ist man nicht mehr in der Lage, die Kredite zurückzuzahlen, und dann ist man bankrott. So ähnlich ist das beim Altern, obwohl ich den Vergleich nicht zu weit treiben würde.
Das Altern ist das Ergebnis der Anhäufung allmählicher Veränderungen und Schäden an unseren Molekülen, unseren Zellen, unserem Gewebe und schließlich unserem Körper. Und wenn diese Reihe angehäufter Änderungen zu einem kritischen Systemausfall führt, wie im Fall einer Insolvenz, dann würde die letzte Bank sich weigern, Ihnen noch mehr Geld zu geben. Ich denke also, dass wir bei einem kritischen Systemausfall unsere Fähigkeit verlieren, als Ganzes zu funktionieren. Ich möchte diesbezüglich auf zwei seltsame Dinge hinweisen. Wenn wir leben, sterben ständig Millionen unserer Zellen. Und tatsächlich müssen viele dieser Zellen sterben, um uns am Leben zu erhalten. Das Gegenteil davon ist, dass, wenn wir sterben, die meisten unserer Zellen zum Zeitpunkt des Todes noch am Leben sind, weshalb Sie Ihre Organe für Transplantatempfänger usw. spenden können.
Der Tod ist also etwas Besonderes. Es geht nicht darum, dass jeder Teil unseres Körpers plötzlich stirbt. Es geht darum, plötzlich nicht mehr in der Lage zu sein, als ganzer Mensch zu funktionieren.
Sie schreiben über Verrückte und Propheten auf dem Gebiet der Altersforschung. Die Versuche, Körper einzufrieren, um sie in einer Zukunft, in der alle Krankheiten geheilt werden können, wieder zum Leben zu erwecken. Diese Experimente sind bekannt. 1976 kostete das 28.000 Dollar. Und man lag in flüssigem Stickstoff. Heute gibt es andere Methoden, und sie sind teurer. Warum ist es immer noch keine lohnende Investition?
Nun, diese Idee kommt aus einem legitimen Bereich der Biologie, der Kryokonservierung. Biologen wollten schon immer Proben einfrieren und sie im gefrorenen Zustand am Leben erhalten. Aber das ist nicht einfach und wird exponentiell schwieriger, wenn die Größe des Organismus zunimmt. Der Grund ist, dass wir alle mit Wasser gefüllt sind. Und wenn Wasser gefriert, dehnt es sich aus. Und bei der Ausdehnung zerstört es das umgebende Gewebe. Wenn Sie versuchen, Erdbeeren einzufrieren, sehen sie nach dem Auftauen nicht mehr wie frische Erdbeeren aus.
Darüber hinaus ist es noch niemandem gelungen, selbst ein kleines Tier wie eine Maus einzufrieren und lebendig zurückzubringen. Und den Schaden durch das sich ausdehnende Wasser bei eingefrorenen Menschen zu verhindern, injizieren sie der Person nach ihrem Tod so etwas wie eine Frostschutzflüssigkeit. Nun, während sie das tun, sterben alle Zellen ab. Ihre Gehirnzellen sind nicht in demselben Zustand wie zu Lebzeiten der Person.
All diese Wundermittel und Gefriermethoden scheinen viel weniger wirksam zu sein als drei Methoden, die für uns alle leicht umsetzbar sind, um unser Leben zu verlängern: gesunde Ernährung, Bewegung, Schlaf. Warum sind sie so wichtig?
Auch dieser Ratschlag ist schon sehr alt. Aber unser Verständnis, warum das funktioniert, ist erst in den letzten Jahrzehnten gewachsen. So hat sich zB herausgestellt, dass Kalorienbeschränkung die Gesundheit älterer Tiere verbessert. Dies wurde bei vielen verschiedenen Arten nachgewiesen. Die Erkenntnis ist also, dass man älter wird, wenn man mäßig isst. Die andere Sache mit der Bewegung ist, dass sie an der Reparatur und Regeneration von Altersschäden und auch anderer Arten von Stress beteiligt ist. Sie kann an der Regeneration der Muskeln beteiligt sein, und Muskelschwund ist ein großes Problem im Alter. Bewegung hat also eine Vielzahl von Vorteilen. Tatsächlich verstehen wir wahrscheinlich nicht einmal alle Vorteile der Bewegung vollständig. Das Thema Schlaf ist besonders interessant. Wir denken, Schlaf sei etwas, das nur Säugetiere tun, die ein Gehirn und Augen oder so etwas haben. Aber tatsächlich ist Schlaf in fast allen Lebensformen verbreitet, sogar sehr primitive Lebensformen haben eine Art Schlaf. Schlaf ist wichtig, denn während des Schlafzyklus repariert der Organismus viele Schäden und führt viele Wartungsarbeiten durch. Und das hält uns wirklich gesund. Diese drei Dinge sind also sehr wichtig. Aber ich sollte noch ein paar andere Tipps hinzufügen, die für Ihre Zuhörerinnen und Zuhörer interessant sind.
Und zwar gibt es einige Krankheiten, die im Alter häufiger auftreten und für die es sehr gute Diagnosen und sehr gute Behandlungen gibt. Zum Beispiel Diabetes, hoher Cholesterinspiegel, hoher Blutdruck. Dann gibt bestimmte Arten von Krebs, wie Dickdarmkrebs oder Brustkrebs oder Prostatakrebs. Bei diesen Krebsarten ist die Heilungschance viel höher, wenn sie frühzeitig erkannt werden. Und schließlich haben Sozialwissenschaftler eine merkwürdige Verbindung entdeckt. Soziale Isolation verschlechtert tatsächlich unsere Gesundheit und erhöht die Sterblichkeit. Es ist also gut, nicht sozial isoliert zu sein. Und auch ein Lebensziel zu haben, scheint die Sterblichkeit zu senken. Niemand versteht die zugrunde liegenden Gründe wirklich, außer dass wir wissen, dass das Gehirn auf sehr komplizierte Weise mit dem Rest des Körpers interagiert. Und das kann über diese Art psychophysiologischer Bahnen geschehen.
Was mich überrascht, ist, dass es immer noch keine bedeutende politische Bewegung gibt, die so etwas wie "Unsterblichkeit für alle" fordert. Warum glauben Sie nicht, dass es so etwas nicht gibt?
Nun, ich habe gehört, dass es in Deutschland tatsächlich eine Partei gibt, die mehr Geld für die Alterungsforschung ausgeben möchte und Unsterblichkeit will. Das macht aus individueller Sicht Sinn, weil wir lang leben wollen. Und natürlich gibt es gute evolutionäre Gründe dafür, denn dieser Lebenswille hat uns in schlechten Zeiten oder in Gefahr am Leben gehalten. Aber für die Gesellschaft bin ich mir nicht sicher, ob gut wäre, wenn dieselben Menschen ewig leben. Stellen Sie sich vor, wir würden in 50 Jahren immer noch gegen eine Trump-Wahl kämpfen oder Menschen wie Mao oder Stalin würden noch leben. Ich würde also sagen, das ist keine gute Sache. Ich denke, Fluktuation ist gut für die Gesellschaft. Viele wirklich große intellektuelle und kreative Fortschritte in den Naturwissenschaften, der Mathematik, aber auch in der Literatur und anderen Bereichen sind von jungen Leuten ausgegangen. Und ich denke, diese Fluktuation braucht man, um eine lebendige Gesellschaft zu haben. Sonst wird die Gesellschaft sehr stagnieren. Ich bin nicht sicher, ob das eine gute Sache ist.
Sie haben einen Autor auf Ihrer Seite, den Nobelpreisträger Kazuo Ishiguru, der behauptet. die besten Romane seien von jungen Autoren geschrieben worden…
Das stimmt. Tatsächlich glaube ich, dass er mit dieser Aussage seine Autorenkollegen mächtig provozieren wollte. Er sprach beim Hay Literaturfestival. Und ich erinnere mich deutlich daran, dass der Autor, mit dem er darüber stritt, ziemlich genervt war, weil er etwas älter war. Ishiguro sagte nicht, dass man keine gute Arbeit leistet, wenn man älter ist. Darum geht es nicht. Aber die aufschlussreichsten, originellsten Arbeiten entstehen oft, wenn man jünger ist. Und ich denke, das liegt nicht nur am biologischen Altern und dem Verfall unseres Gehirns usw. Das liegt auch daran, dass wir in jungen Jahren alles mit neuen Augen betrachten. Wir sind also nicht durch ein Leben voller Vorurteile und angesammelter Voreingenommenheit geprägt. Wir betrachten die Dinge anders. Und das ist es, was Kreativität oft mit sich bringt.
Ein letzter faszinierender Gedanke, den Sie bereits erwähnt haben. Studien haben gezeigt, dass das Setzen eines Lebensziels die Sterblichkeit verringert. Ich werde also länger leben, wenn ich mir vornehme, welche Bücher ich noch lesen muss…
Ja, ich denke das alles, was Sie motiviert, was Ihnen einen Grund gibt, am Leben zu sein, wahrscheinlich eine gute Sache ist. Und deshalb ist es definitiv gut, eine Liste mit Büchern zu haben, die Sie lesen möchten. Und ich plane, mein Forschungslabor nächstes Jahr zu schließen. Ich werde also in gewisser Weise in den Ruhestand gehen, aber ich werde die Zeit nutzen, um Dinge zu tun, die ich schon immer tun wollte, für die mir aber die Zeit fehlte. Und das wird mich hoffentlich motivieren und ein Ziel an sich sein.
Sie haben es vom Nobelpreisträger gehört: Erweitern Sie Ihre Leseliste und Sie werden älter.
Na ja, vielleicht bleiben Sie jung. Wer weiß?
Vielen Dank für das Gespräch!