GDL beharrt auf Maximalforderung und streikt unerbittlich weiter - Ökonom Weber über DB-Tarifkonflikt: Werden Kompromiss finden - Bedingungen haben sich verschärft
GdL-Chef Weselsky lässt die Muskeln spielen und kündigt nicht nur neue Streiks bei der Bahn an, sondern für die Zukunft auch solche, die dann vorher nicht mehr angekündigt würden, sagt er. Damit erreicht der Tarifstreit eine neue Eskalationsstufe. Wir sprechen darüber mit Prof. Enzo Weber, Ökonom am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und Lehrstuhlinhaber an der Universität Regensburg.
Die Verhandlungen zwischen Bahn und GDL sind wieder gescheitert. Das heißt: Die Bahn steht wieder still - ab Mittwoch im Güterverkehr; ab Donnerstag dann im Personenverkehr. Die Gewerkschaft will ihre Forderung der 35-Stunden-Woche durchsetzen – mit allen Mitteln. Sie hat schon angekündigt, Streiks bald nicht mehr mit 48 Stunden Fristen anzukündigen. Für Bahnfahrer heißt das: Der Stress und Ärger wird nicht weniger.
Bei Tarifstreitigkeiten liegen die Positionen zunächst ja fast immer weit auseinander. Warum ist hier einfach kein Kompromiss zu finden?
Weber: Also wir werden den Kompromiss schon noch finden. Das war bisher in allen Tarif-Auseinandersetzungen noch so, aber die Bedingungen haben sich einfach verschärft. Also die Arbeitskräfte, die sind mittlerweile deutlich knapper geworden als früher, vor allem als früher in den 2000ern, zu Zeiten der Massenarbeitslosigkeit. Und dann haben wir auch noch besondere Bedingungen jetzt. Also die Inflation war ja so schnell in die Höhe geschossen und da müssen die Löhne dann erst mal mitkommen. Das heißt, da geht es dann plötzlich um sehr, sehr hohe Zahlen bei den Lohnforderungen, die früher nie im Raum standen. Das wird sich irgendwann wieder legen. Also die Inflation geht ja wieder zurück. Aber im Moment befinden wir uns halt noch in dieser Sondersituation.
Es gibt gerade bei Bahnstreiks häufig reflexartig zwei unterschiedliche Reaktionen ohne jegliche Detailkenntnisse. Die einen, die sagen, "die sollen arbeiten und nicht ständig streiken" und die anderen, die unabhängig von Angebot und Forderung sagen, "ja, die sollen für ihre Rechte kämpfen. Richtig so." Wie schätzen Sie das in diesem Fall ein? Ist die Bahn einfach knausrig oder übertreibt die GDL?
Weber: Also es ist so, dass insgesamt das Streikniveau in Deutschland, das ist ja nicht besonders hoch. Also man hatte jetzt im letzten Jahr schon den Eindruck, es würde ständig gestreikt. Wenn man das mal umrechnet pro Beschäftigten im Gesamtjahr gab es Ausfall durch Streik von 0,1 Stunde. Das ist ja nun fast nichts. Aber es geht um Schlüsselbranchen. Also wenn eine Verkehrsbranche betroffen ist, dann ergibt das besondere Aufmerksamkeit, weil dann natürlich auch sehr viele Menschen außerhalb der Branche betroffen sind. Wenn wir uns jetzt die Forderungen anschauen, naja, wie gesagt, die Inflation, die will erstmal ausgeglichen werden, wir hatten drei Jahre in Folge, nämlich Reallohnverluste. Das heißt, wenn man die Inflation abzieht, hatten die Beschäftigten jedes Jahr weniger in der Tasche. Und das ist schon hart. Deswegen, um einen Inflationsausgleich und auch noch mehr zu kämpfen, das ist schon richtig. Aber wenn wir Löhne mittelfristig steigern wollen, dann geht das nur, wenn pro Stunde auch mehr erwirtschaftet wird, also die Produktivität. Und die stagniert seit mehreren Jahren. So geht es nicht weiter, da müssen wir mehr rausholen, sonst geht es mit den Löhnen irgendwann nicht mehr weiter.
Ich bleibe noch mal kurz bei dem Streikniveau, was Sie gerade angesprochen haben, hängen: Bei der Lufthansa wird gestreikt, kürzlich auch im Einzelhandel, im öffentlichen Nahverkehr, wir sprechen hier über die Bahn. Erlebt Deutschland gerade also gar eine Streikwelle?
Weber: Streikwelle ist zu viel gesagt, aber wir sehen schon, über die 2010er Jahre, da ist das Streikniveau tendenziell etwas angestiegen. Ich würde das nicht Streikwelle nennen, das Niveau ist noch immer niedrig, aber man sieht schon, der Arbeitsmarkt hat sich gewandelt. Man braucht ja heute nur durch die Straßen zu gehen, überall hängen Plakate, wir suchen Arbeitskräfte, kommt zu uns, das hat schon seine Auswirkungen.
Die GDL ist ja eine relativ kleine Gewerkschaft, ist ja auch die kleinere Gewerkschaft bei der Bahn. Warum kann die so unerbittlich auf ihrer Maximalforderung beharren? Haben die so viel Geld im Hintergrund oder wie kommt das?
Weber: Na ja, wenn man eine kleine Gewerkschaft ist, dann muss man natürlich auch nicht besonders viel finanzieren, das gleicht sich dann ja wieder aus und solche Gewerkschaften sitzen natürlich an einem größeren Hebel, als wenn es jetzt zum Beispiel um Gewerkschaften ginge in der Produktion von Textilien oder was auch immer, was man nicht sofort auf den Punkt merkt. Also Dinge, die man auf Lager produzieren kann, die betreffen die Konsumierenden halt nicht so direkt, wie wenn bei Dienstleistungen gestreikt wird und deswegen haben wir die große Aufmerksamkeit immer im Verkehrswesen, im Erziehungswesen und ähnlichen Branchen.