Album der Woche - "Wild God" von Nick Cave & The Bad Seeds

"Wild God" von Nick Cave & The Bad Seeds © PIAS
"Wild God" von Nick Cave & The Bad Seeds | © PIAS

Der Dichter, Songschreiber und Musiker Nick Cave ist ein Meister darin, das Düstere, die Verwicklungen von Religiosität und deren Abgründe sowie auch Leid und Tod auszuloten und aufs Poetischste in Songs zu gießen. Nun hat er die Euphorie entdeckt und, was noch schwerer ist, die Lebensfreude.

"Wir haben alle zu viel Kummer gehabt, jetzt ist die Zeit der Freude", sagt der Mann, der die Öffentlichkeit an seinem persönlichen und unermesslichen Kummer hat teilhaben lassen, als erst sein Sohn Arthur und dann Jethro gestorben ist. Hierneben hat Nick Cave mit seinem Weggefährten Warren Ellis auf drei Alben versucht, in Klangtexturen der Trauer Ausdruck zu geben.

Trauer, Wut und Chaos sind natürlich nicht verschwunden. Im Gegenteil scheinen sie doch momentan in der Welt immer mehr Raum einzunehmen. Dem existenzialistischen Gedanken folgend, die Absurdität des Lebens anzuerkennen, aber selbige zu überwinden, verbreiten die neuen Songs Optimismus. Es gibt sie weiterhin die Dunkelheit, den Schmerz und den Tod, so gedenkt Cave in dem Song "O Wow O Wow (How Wonderful She Is)" seiner ehemaligen Partnerin und Mitmusikerin Anita Lane, die mittels Telefonaufnahme recht präsent ist, in der Lane kichert, während sie sich an ihre gemeinsame Vergangenheit erinnert und vor allem daran, wie sie zusammen den Song "From Her to Eternity" geschrieben haben. Neben der Wehmut und dem Bedauern über ihren Verlust, bricht sich in dem Song die Erkenntnis Bahn, dass das Leben trotz allem immer noch transzendente Euphorie vermitteln kann.


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In "Frogs", einem zentralen Song auf dem Album, geht Cave von der Kirche nach Hause und hält inne, um einen Frosch in der Gosse zu betrachten: "Zu Gott springend, erstaunt über die Liebe, erstaunt über den Schmerz, erstaunt, wieder im Wasser zu sein." Ein treffendes Bild für die ewige Sinnsuche und auch dafür, dem Leben selbst nicht mit Angst, sondern mit Neugier zu begegnen. Es gebe Dinge wie Populismus, die Nick Cave sorgenvoll auf die Welt blicken lassen, aber er glaubt auch an die Fähigkeit der Menschen, Gutes zu tun.

Musikalisch zeigt sich auch in "Frogs“ der Habitus des Gospels. Unterstützt von Orchester und Chor. Nick Cave nennt es "eine Art presbyterianischer, anglikanischer Kirchensound“. Doch zugleich wollte er kein Gospel-Album machen, bei dem der Gesang etwas ist, das nur drübergelegt ist. Vielmehr ist jeder einzelne Song der Versuch, auch aus kompositorischer Sicht, aus dem Leiden einen Sprung in etwas Transzendentes zu wagen. Dabei helfen jubilierende Streicher, Waldhörner und Holzbläser.

Wichtig sei für das neue Album auch das Mixing von dem Flaming Lips-Produzenten Dave Friedman gewesen, meint Cave. Dieser habe sich in einer recht abgeschiedenen Hütte im US-Bundesstaat New York daran gemacht, den Songs einen eleganten Mix zu verpassen. Er habe, laut Cave, Gesang, Synthesizer und Streicher zu einem emotionalen Sound zusammengeführt. Auch hierher rührt der euphorische Charakter des Albums.

Er sei heutzutage glücklicher als vor ein paar Jahren oder als er die letzte Platte gemacht hat, sagt Nick Cave. "Ich fühle mich einfach an einem besseren Ort auf der Welt. Ich sehe grundsätzlich, dass sich die Welt in Richtung Schönheit und Liebe neigt, im Gegensatz zu der derzeitig verbreiteten Vorstellung, dass die Welt sich auf eine absolute Katastrophe und in Richtung Gräueltaten hinbewegt. Ich glaube nicht, dass das unbedingt wahr ist. Es ist keine fröhliche Platte, es gibt eine Bassline der Trauer, die sich in gewisser Weise durch all diese Songs zieht. Sogar so etwas wie der Song "Joy" beginnt damit, dass ein Bruder in der Geschichte von Kane und Abel einen anderen Bruder tötet, was die erste Handlung ist, die von der Menschheit außerhalb des Paradieses begangen wird, nämlich sich gegenseitig zu töten. Gleiches gilt für "Frogs", der ein ekstatischer Song ist, die Bassline dieses Liedes aber spiegelt eine Gräueltat. Doch die Essenz ist doch, dass wir die Fähigkeit haben, wie Frösche für Momente davon aufzuspringen, oder? Das ist die Art und Weise, wie ich die Welt sehe, dass die Welt systemisch schön ist, und sie kann nicht anders, als so zu sein. Und ich wollte, dass diese Platte das in irgendeiner Weise widerspiegelt.“

Ebenso metaphorisch oder transzendent ist auch die Figur des wilden Gottes im Titeltrack des Albums zu verstehen. Er glaube natürlich nicht an Gott als einen alten Mann. Vielmehr sind seine Songs immer narrativ. Sie erzählen Geschichten, und er benutzt Figuren, um diese Geschichten zu erzählen. Der Gott in "Wild God" ist irgendwie beraubt und die Welt hat sich von ihm abgewandt und er ist alt und er ist verbraucht, und das fühlte sich an wie eine Art und Weise, über den spirituellen Zustand der Welt allgemein. "Ein Ruf zu etwas Transzendentem, etwas Heiligem, Ideen des Göttlichen, diese Art von Dingen," sagt Nick Cave, "ich meine, irgendjemand muss es tun, das ist das, was meine Platten versuchen."

Zum Ende des Songs "Frogs" kommt es noch zu einer Begegnung mit Kris Kristofferson. Nick Cave habe in seiner Berliner Zeit natürlich viel mit Punk und Avantgarde zu tun gehabt, doch gleichzeitig habe er immer Countrymusik gehört. Kris Kristofferson besonders gern. Dessen bester Song sei "Sunday Morning Coming Down", der von einem betrunkenen Mann handelt, der am Sonntagmorgen aufwacht, an dem all die schönen Dinge, die am Sonntagmorgen so passieren, ablaufen, aber er ist einfach dieser Betrunkene, der sein sauberstes schmutziges Hemd trägt, wie er es nennt, Bier zum Frühstück trinkt und den Rest der Welt beobachtet. In gewisser Weise sind die letzten Zeilen von "Frogs" also so gemeint: der Frosch, springt in die Luft, versucht Höheres, kehrt aber in die Gosse zurück, wo der Kris Kristofferson aus "Sunday Morning Coming Down" zu dieser Zeit ist. Es zumindest zu versuchen, ist wohl das zutiefst Menschliche in dieser Geschichte.

Er sei glücklich, sagt Nick Cave, "ich habe wunderschöne Kinder und ich bin gerade Großvater geworden, und ich fühle mich irgendwie in Frieden mit der Welt. Aber wer weiß, was dann noch kommt. Es tut mir leid, ich bin nicht selbstgefällig, wenn es um die Idee des Glücks geht. Das ist etwas, das kommt und geht. Freude ist wie ein Frosch – Sie springt nach oben, und es sind diese ekstatischen, schönen Momente der Erkenntnis, was die Welt eigentlich ist, und dann fällst du wieder dorthin, wo dein Grundzustand ist. Über Trauer kommt man nie so richtig hinweg."

Einmal mehr hat Cave die neuen Songs gemeinsam mit Warren Ellis geschrieben und bei den Sessions im Miraval in der Provence und im Soundtree in London fügten die Bad Seeds ihre einzigartige Alchemie hinzu, mit zusätzlichen Auftritten von Radioheads Colin Greenwood (Bass) und Luis Almau (Nylonsaitengitarre, Akustikgitarre).

Claudia Gerth, radioeins

Tracklist

1 Song Of The Lake
2 Wild God
3 Frogs
4 Joy
5 Final Rescue Attempt
6 Conversion
7 Cinnamon Horses
8 Long Dark Night
9 O Wow O Wow (How Wonderful She Is)
10 As The Waters Cover The Sea

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