radioeins Konzertkritik - Bob Dylan in Berlin – drei Konzerte, beeindruckend und berührend, ein Abschied?

Bob Dylan & Band
Bob Dylan & Band (2012) | © IMAGO/Dreamstime/Thevirex

Im Oktober vor zwei Jahren war Bob Dylan auf seiner "Rough And Rowdy Ways" Tour für drei Konzerte in Berlin. Er spielte fast das ganze Album und dazu ein paar weniger bekannte Songs. Jetzt spielte er mit seiner neuformierten Band wieder auf derselben Bühne, wieder an drei Abenden, aber der Kontrast hätte nicht größer sein können, obwohl auch diesmal sein aktuelles Album im Zentrum stand. Die Hoffnungen vieler Fans, er würde die Setlist seiner "Outlaw Country" Tour aus dem Sommer auch in Berlin weiterführen, erfüllte sich nicht, aber von der Festival Tour hatte er Klassiker wie "All Along The Watchtower" und "Desolation Row" wieder ins Programm aufgenommen.

Vor zwei Jahren wirkten seine Auftritte so wie ein Abschied. Bob Dylan sang melancholisch, die Band spielte bedächtig und dezent. Dylan stand nur selten von seinem Flügel auf, es wirkte fast so, als würde er sich dahinter verstecken. Er machte einen zerbrechlichen Eindruck, obwohl seine Stimme klar war, aber sein Alter war ihm deutlich anzumerken.

Bei seinen Konzerte in der letzten drei Tagen zeigte Bob Dylan ein ganz anderes Gesicht. Als er mit seiner Band wie aus dem Nichts auf die Bühne kam und die ersten Töne von "All Along The Watchtower" erklangen, war klar, diese Auftritte sind etwas besonders. Seine neuformierte Band erzeugte einen erdigen Sound und Bob Dylan spielte bei den ersten beiden Songs sogar elektrische Gitarre, was in Berlin seit über zehn Jahren nicht zu erleben war. Danach folgte mit "It Ain’t Me, Babe" ein weiterer Klassiker, beide umwerfend neu arrangiert. Ja, ich bin nicht der, den du dir vorstellst, den du dir herbeiwünscht, ich werde dich enttäuschen. Bob Dylan hat nie die Erwartungen anderer erfüllt, ist immer seinem inneren Kompass gefolgt, ohne Kompromisse. Die Setlist blieb an allen drei Abenden unverändert, er braucht schon seit Jahren einen sicheren Rahmen.

Mit seinem Gesang hatte Dylan an allen Tagen zunächst zu kämpfen, aber das legte sich bald. Seine Band, in der Jim Keltner am Schlagzeug saß, schien ihn voranzutreiben. Keltner, selbst 82 Jahre alt, ist ein alter Freund und Wegbeleiter, spielte auf der Originalaufnahme von "Knocking On Heavens Door" (1973) und weiteren Alben von Dylan. Keltner und Dylans langjähriger Bassist Tony Garnier (seit 1989) gaben den Rhythmus vor und sorgten für das Fundament an diesem Abend. Seine Band spielte für ihn, unterstütze seine Stärken und überspielte seine Schwächen, Bob Dylan sollte im richtigen Licht erscheinen. Die Bühnenbeleuchtung war sehr dezent, nur ein paar alte Filmscheinwerfer, sonst nichts. Die Songs standen im Fokus.

Bob Dylan fühlte sich richtig wohl in Berlin, griff oft zu seiner Harmonika, was er 2022 nicht ein einziges Mal getan hatte. Er spielte und sang meist stehend vor seinem Flügel, lehnte sich an ihn, denn etwas wacklig auf den Beinen ist er schon. Doch seine Präsenz war viel stärker als vor zwei Jahren.

Die drei Konzertabende hatten viele Highlights zu bieten, darunter "Desolation Row", "It’s All Over Now, Baby Blue", neu arrangiert und frisch. Klang "When I Paint My Masterpiece" vor zwei Jahren eher uninspiriert, so konnte das Publikum an den vergangenen drei Tagen Bob Dylan dabei zuhören, wie er sein Meisterstück auf der Bühne malte. Auch die vielen Songs von "Rough & Rowdy Ways" klangen in dem Rahmen wie Klassiker und "Key West" oder "Black Rider" zählten zu den Höhepunkten der drei Konzerte.

Bob Dylan spielte jeweils fast zwei Stunden durch, ohne Pause, ohne Zugabe, ohne Vorstellung der Band. Bob Dylan spricht schon lange nicht mehr zum Publikum, aber er schweigt nicht, denn er spricht mit seinen Songs und durch die Art, wie er seine Texte singt. Es geht Bob Dylan nicht um Bob Dylan, es geht um seine Songs. Das Publikum hat dies im Laufe der Jahre auch verstanden. Zwei Tage schwieg er komplett, aber am letzten Abend sagte er zum Ende der Show einmal kurz "Thank You" und das Publikum feierte ihn mit "Thank You, Bob!"

Bob Dylans Konzerte endeten mit "Every Grain Of Sand", einem Song über die Vergänglichkeit des Seins, wo jedes Korn in der Sanduhr des Lebens Bedeutung bekommt. Ein sehr berührender Moment und einige im Publikum hatten Tränen in den Augen. Danach verließ er mit seiner Band, unter Standing Ovations, die Bühne. Die Konzerte endeten, wie sie begonnen hatten. Bob Dylan kam aus dem Dunkel, wie aus dem Nichts, spielte mit einer großartigen Band seine Songs und kehrte, ohne Verabschiedung, wieder ins Dunkel zurück. Der Kreis hatte sich geschlossen.

Wenn dies Bob Dylans letztes Gastspiel in Berlin gewesen sein sollte, dann hätte sein Abschied nicht würdevoller sein können. „Thank You For The Music Bob!“

Carsten Wehrhoff, radioeins

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