Aktuell - Polizeiliche Kriminalstatistik reformbedürftig?
Die jährliche Kriminalstatistik der Polizei ist nicht nur Anlass für politische Debatten um Migration. Einzelne Kriminologen stellen die Aussagekraft der Untersuchung gänzlich infrage. Martin Thüne lehrt Kriminologie am Fachbereich Polizei der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung des Landes Schleswig-Holstein und wir sprechen mit ihm darüber.
"Zahl der Straftaten von jugendlichen Ausländern explodiert!", "ARD vertuscht Problem mit kriminellen Ausländern", "Parteien fordern härteres Vorgehen gegen ausländische Straftäter" - so lauten nur einige der Schlagzeilen nach der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik durch Innenministerin Nancy Faeser am Dienstag dieser Woche.
Horcht man in den politischen Diskurs, möchte man meinen, Deutschland habe ein zunehmendes Problem mit Kriminalität und das habe vor allem mit Zuwanderung zu tun. Nicht nur AfD, Unionsparteien und FDP reagierten mit Forderungen nach einer stärkeren Eingrenzung von Migration. Auch SPD-Ministerin Faeser stellte direkte Zusammenhänge zwischen Zuwanderung und Verbrechen her und stellte konsequentes Abschieben in Aussicht.
Den neuen Daten zufolge war die Zahl der nicht-deutschen Tatverdächtigen 2023 um 17,8 Prozent auf rund 923.000 angestiegen. Der Anteil nicht-deutscher Verdächtiger an allen Verdächtigen nahm damit um 3,7 Prozentpunkte zu und lag bei 41,1 Prozent. Ein besonders starker Anstieg war zudem bei jugendlichen Tatverdächtigen zu verzeichnen.
"Teilweise besorgniserregend", nannte das Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts.
Jedoch: Viele Kriminologen teilen diese Einschätzung nicht. Weder lasse sich eine zunehmende Unsicherheit in Deutschland aus den Zahlen ableiten - noch sei das Hervorheben ausländischer Tatverdächtiger sinnvoll. Sie kritisieren Pauschalisierungen - etwa weil Touristen oder kriminelle Banden, die gar nicht in Deutschland leben, den Anteil nicht-deutscher Tatverdächtiger in die Höhe treiben. Oder weil Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht genauso in der Statistik landen wie Gewaltdelikte.
Einige der Experten gehen soweit, der Statistik die Aussagekraft abzusprechen: es sei "bizarr" wie die Statistik Jahr für Jahr in der öffentlichen Debatte überinterpretiert wird, kommentierte etwa Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Frankfurter Goethe-Universität.